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Deutsche überlassen ihre Angst vor Inflation der Vergangenheit

9. Januar (Bloomberg) –- Im Alter von fünf Jahren dachte Walter Baltes, er müsse Millionär sein, um ein Stück Brot zu kaufen. Fast täglich trug seine Großmutter ein ganzes Bündel Geldscheine zum...

9. Januar (Bloomberg) –- Im Alter von fünf Jahren dachte Walter Baltes, er müsse Millionär sein, um ein Stück Brot zu kaufen. Fast täglich trug seine Großmutter ein ganzes Bündel Geldscheine zum Bäckerladen im nordrhein-westfälischen Witten, um die Einkäufe zu erledigen. Das war 1923. Es herrschte Hyperinflation in Deutschland. Innerhalb von Tagen verzehnfachten sich die Preise. Im November 1923 war ein US- Dollar 4,2 Billionen Mark wert.

“Solche Preissteigerungen werden wir nicht mehr erleben”, sagt der heute 95-Jährige. Die Erfahrungen der 20er Jahre gehören für Baltes zur Vergangenheit.

Neunzig Jahre nachdem eine ganze Generation ihr Vermögen verloren hat, schwindet in Deutschland die Angst vor der Inflation. Nach einer Studie der Universität Hamburg schätzt die Mehrzahl der Deutschen die Entwicklung der Preise grundsätzlich realistisch ein und erwartet auch in den kommenden zwölf Monaten keine deutliche Preissteigerung. Rund 50 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass die Inflation in einem Jahr durchschnittlich bei rund zwei Prozent liegen wird.

Eine andere Umfrage zeigt, dass die Sorge vor Inflation in Deutschland nicht stärker ausgeprägt ist als in anderen EU- Ländern. Rund 13,3 Prozent der im November in einer Studie der EU-Kommission befragten Deutschen erwarten eine starke Preissteigerung in den kommenden zwölf Monaten; 43,6 Prozent gehen von einem moderaten Anstieg aus. In Großbritannien, Frankreich, Österreich oder Finnland bewegt sich die Inflationserwartung der Menschen durchschnittlich auf einem ähnlichen Niveau.

“In der Vergangenheit mag die Inflationsangst der Deutschen besonders groß gewesen sein”, sagt der Präsident des Handelsblatt Research Instituts, Bert Rürup, im Interview. Doch nach fast vier Generationen könne man davon ausgehen, dass die angebliche Urangst der Deutschen überwunden sei. Vielen Menschen sei klar, dass große Inflationen auf verlorene Kriege folgten. Eine ausgeprägte Inflationsangst werde durch jüngste Studien nicht belegt.

Insbesondere die Medien schüren nach einer von der Bundesbank veröffentlichten Untersuchung Preisängste. Die Befragten schätzten die Preisentwicklung insbesondere dann fehlerhaft ein, wenn negativ über die Entwicklung der Preise berichtet wurde. “In den Medien wird das Thema übertrieben dargestellt”, sagt auch der Chef des Berliner Wirtschaftsinstituts DIW Marcel Fratzscher. So hatte etwa am 14. August 2013 die Bild-Zeitung unter dem Titel “Inflationsgefahr” über “explodierende” Supermarktpreise berichtet.

Die Inflationserwartung orientiere sich grundsätzlich an der Entwicklung der realen Preise, erklärt Rolf Bürkl vom Nürnberger Forschungsinstitut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Seit Frühjahr 2011 seien keine übermäßigen Ausschläge zu beobachten. Die Preiserwartung der Deutschen habe sich stabil entwickelt - entsprechend der Teuerungsrate. Die fiel laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr um 0,5 Prozentpunkte auf 1,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

“Die Befürchtung, dass die Euro-Einführung zu steigenden Preisen führt, hat sich letztendlich nicht bestätigt”, erklärt Bürkl. Mit der Einführung des Euro-Bargeldes im Jahr 2002 hatte sich in Deutschland die Befürchtung breit gemacht, Geschäfte könnten die Gelegenheit nutzen, um die Preise anzuheben. “Teuro” wurde zum Wort des Jahres 2002 gewählt. Laut einer Studie der R+V Versicherung ist die Inflationserwartung mittlerweile wieder auf das Durchschnittsniveau vor 2002 gefallen.

“Abnehmende Inflationsangst räumt Merkel mehr Spielräume in der Europapolitik ein”, sagt Sebastian Dullien, Wirtschaftswissenschaftler des Think Tanks European Council of Foreign Affairs, mit Blick auf Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wenn die Inflationssorgen abnehmen, bestehe in Deutschland eine geringere Gefahr, dass sich eine Anti-Eurostimmung ausbreite, die etwa von der Partei Alternative für Deutschland (AfD) verbreitet werde. “Das erleichtert eine konstruktive Europolitik.”

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