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Ausland Robert Biedron

Die neue Hoffnung der polnischen Opposition

„Ich bin nicht mehr die nette Schwuchtel von nebenan“, sagt Robert Biedron und lacht „Ich bin nicht mehr die nette Schwuchtel von nebenan“, sagt Robert Biedron und lacht
„Ich bin nicht mehr die nette Schwuchtel von nebenan“, sagt Robert Biedron und lacht
Quelle: Philipp Fritz
Robert Biedron ist jung und liberal. Mit einer neuen Partei will er das politische System in Polen aufmischen. Zulauf erhalten könnte er auch auch von Anhängern der nationalkonservativen Regierungspartei PiS.

Manchmal werden Träume eben auch in der Provinz wahr. So wie an diesem Abend Ende Januar in der Gemeinde Biala Podlaska weit im Osten Polens an der Grenze zu Belarus. Im ersten Stock eines kleinen Hotels steht Robert Biedron auf einem Treppenabsatz vor einer geschlossenen Flügeltür. Dahinter sitzen etwa 200 Menschen in einem Konferenzsaal. Sie alle sind gekommen, um ihn zu sehen.

Biedron, immer noch hinter der Tür, haucht in ein Mikro: „Guten Abend“. Er wartet einige Sekunden, Applaus brandet auf. Er lächelt selbstgewiss. „Schließt die Augen“, sagt er. „Und nun stellt euch das Polen eurer Träume vor.“ Biedron stößt die Tür auf und läuft zwischen den Stuhlreihen hindurch nach vorn. Vor ihm stehen Kameras, hinter ihm hängt ein Spiegel, sodass er das Publikum auch sieht, wenn er ihm den Rücken zukehrt. Aus den Boxen tönt ein Pop-Rock-Song, der an evangelikale Erweckungsevents erinnert.

Alle im Saal jubeln, auf ihn haben sie gewartet, für ihn sind sie angereist, einige sogar aus Krakau oder Gdynia mit dem Auto durch das halbe Land. Biedron ist die Hoffnung der Opposition vor den Europawahlen im Mai, vor allem aber vor den polnischen Parlamentswahlen im Herbst. Er greift die regierende nationalkonservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) frontal an, teilt aber auch gegen die uninspiriert und müde wirkende größte Oppositionspartei PO (Bürgerplattform) aus.

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Der 42-Jährige versucht, sich als dritte politische Kraft zu etablieren; in Umfragen liegt er aktuell bei zehn Prozent, manche sehen ihn gar bei 20 – er könnte koalitionsentscheidend werden. Dabei wird seine Partei erst an diesem Sonntag auf einem Konvent in Warschau gegründet. Wie ist ihm das nur gelungen?

Noch im Juli vergangenen Jahres hielt er sich mit Aussagen darüber, ob er in die nationale Politik einsteigen will, zurück. Zwar formulierte er eine neue Politik für Polen, wollte aber vorerst in Slupsk bleiben, einer 90.000-Einwohner-Stadt im Nordwesten Polens. Vier Jahre lange hatte er als parteiloser Stadtpräsident dort die einst hoch verschuldete Gemeinde erfolgreich regiert.

Er sanierte die Finanzen, entschlackte die Verwaltung, besetzte offene Stellen mit ukrainischen Zuwanderern. Auch sein Stil sorgte für Aufsehen. Er schaffte die Plastikflaschen in seiner Behörde ab und fuhr mit dem Rad ins Rathaus – beinahe ein Affront in einem Land, in dem ein Auto vor allem Status symbolisiert. Damit zog er landesweit Aufmerksamkeit auf sich. Allerdings war Biedron da bereits prominent.

Morddrohungen nach dem Outing

Denn 2011 war er auf der Liste von Ruch Palikota, einer antiklerikalen Protestpartei, in das polnische Unterhaus gewählt worden, nach einer Legislaturperiode schied die Partei wieder aus. Biedron war seinerzeit der einzige offen schwule Parlamentarier. Nach seinem Outing erhielt er Morddrohungen oder wurde bespuckt. Trauriger Höhepunkt: Am helllichten Tag wurde er von einer Gruppe Fußballfans zusammengeschlagen.

Er machte trotzdem weiter und bekam jede Menge gesellschaftliche Anerkennung. Künstler und Models wie Anja Rubik zeigten sich mit ihm auf Hauptstadtpartys, sein Gesicht zierte die Cover von Lifestyle-Magazinen. Schnell wurde ihm vorgeworfen, ein Blender zu sein, der öfter in Warschau sei, wo sein Partner lebt, als in der Provinz. Doch auch dort blieb er beliebt. Zu den Kommunalwahlen im vergangenen Herbst trat er nur deshalb nicht wieder an, weil er nun mehr wollte.

Jetzt, vier Monate später, fährt Biedron in seinem Volkswagen überall im Land zu Bürgertreffs, zu denen er einlädt, um Ideen für sein Programm zu sammeln. In Warschau kamen 2000 Menschen. Die 200 in der Kleinstadt Biala Podlaska aber wiegen schwerer. Denn sie zeugen davon, dass Biedron auch Menschen in der Provinz anspricht, was die liberal-konservative PO nicht schafft.

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Sein Fahrer, ein Freiwilliger aus seinem Wahlkampfteam, rast mit 180 Stundenkilometern über eine Schnellstraße. Biedron sieht gelassen aus dem Fenster und führt dabei ein Telefoninterview mit dem Magazin „Vogue“. Er mag Tempo, manchmal fährt er seinen Volkswagen sogar selbst – und nicht nur Rad. „Ich bin nicht mehr die nette Schwuchtel von nebenan“, sagt er und lacht. „Ich will Premier werden, das sage ich jetzt ganz offen“, ruft er Richtung Rücksitz.

Tatsächlich wird Biedron vor allem von der PO, weniger von der regierenden PiS als Gefahr wahrgenommen. Oppositionschef Grzegorz Schetyna steht für die Idee einer geeinten Opposition, um den Nationalkonservativen, die mit mehr als 40 Prozent deutlich vorn liegen, etwas entgegenzusetzen.

Gift für die Gesellschaft

Biedron hingegen will ein pluralistisches Parteiensystem, er sieht sich nicht auf einer gemeinsamen Liste mit der PO. „Der seit 13 Jahren andauernde Lagerkampf zwischen den beiden großen Parteien ist nicht mein Kampf. Dieses Dafür oder Dagegen ist Gift für unsere Gesellschaft, und es ist falsch zu glauben, es gebe niemanden, der nicht eine Alternative wolle“, sagt er.

Jemand, der so eine Alternative sucht, ist Przemyslaw Stefaniak. Der 18-Jährige ist zu Biedrons Auftritt in Biala Podlaska gekommen, weil er von den beiden großen Parteien nicht viel hält. „Ich werde das erste Mal wählen. Ich suche jemanden, der mir die Hoffnung gibt, dass dieses Land in zehn Jahren ein normales Land sein wird“, sagt er. Stefaniak hofft auf demokratische Standards, aber auch auf steigende Gehälter und soziale Sicherheit.

Das treibt auch Pawel Iwaniuk, 32, um. Er sitzt im Rollstuhl und wünscht sich für Polen eine behindertengerechte Infrastruktur in den Städten und auf dem Land. „Ich weiß noch nicht, ob ich ihn wähle, aber er ist eine große Hoffnung“, sagt er über Biedron. Nach seinem Auftritt tauscht er mit Iwaniuk Adressen aus. Dessen Ideen zur Barrierefreiheit interessierten ihn sehr, sagt Biedron.

"Biedron ist eine große Hoffnung", sagt Pawel Iwaniuk
"Biedron ist eine große Hoffnung", sagt Pawel Iwaniuk
Quelle: Philipp Fritz

Die umstrittenen Justizreformen, die die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte angreifen und wegen derer die EU Polen verklagt hatte, spricht in Biala Podlaska dagegen niemand an. Biedron sagt, dass sei bei all seinen Auftritten seit September so gewesen. Bildung, Soziales, gerechte Löhne und Renten seien stattdessen Themen, die den Menschen am Herzen lägen. Die PO geht trotzdem damit auf Stimmenfang, dass die PiS eine Diktatur errichte und Polen aus der EU treibe. Viele Polen empfinden das als Panikmache.

Weil Biedron einen anderen Wahlkampf betreibt, wird er gezielt auch von PO-nahen Publizisten angegriffen. Die Stimmung im Land ist nach dem Mord am liberalen Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz besonders aufgeheizt. Dieser war Mitte Januar bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung niedergestochen worden. Als das PO-Lager erklärte, das Staatsfernsehen TVP wegen dessen Berichterstattung nach dem Angriff auf Adamowicz zu boykottieren, weil es Falschmeldungen verbreitetet und Stimmung gegen ihn gemacht hatte, wollte sich Biedron nicht beteiligen. Er sagte, dass er weiter TVP-Interviews geben werde, ein Teil seiner Wähler schaue den Sender nun mal.

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Politische Beobachter halten dieses Vorgehen für geschickt. „Biedron schafft es gleichzeitig, Wähler der PiS oder der PO anzusprechen, für beide wirkt er authentisch“, sagt Piotr Buras, Chef des Warschauer Büros des Thinktanks European Council on Foreign Relations. Manche glauben gar, er könne mehr Stimmen als die PO gewinnen und diese damit zu einem Juniorpartner in einer möglichen Koalition machen. Mit der PiS allerdings würde er niemals koalieren, sagt Biedron: „Mit einer Partei, die den Rechtsstaat angreift, arbeite ich nicht zusammen.“

Dabei dürfte die Konkurrenz auch erschrecken, wie schnell Biedron Strukturen aufgebaut hat und wie professionell seine Kampagne gesteuert wird. Seit vier Monaten tourt er durch Polen. Tausende Freiwillige unterstützen ihn dabei. Es gibt sechs Regionalkoordinatoren, 41 Verantwortliche für Landkreise und 380 für die untersten Verwaltungseinheiten. Alles sei ausschließlich spendenfinanziert, sagt Biedron. „Einige zahlen mehrere Hundert Zloty, andere 50.000“, sagt er stolz. „Ich bin überwältigt davon.“

Ob auch Joanna Kosinska, 71, aus Biala Podlaska gespendet hat, verrät die Rentnerin nicht. Aber sie sei froh, endlich wieder aus Überzeugung für jemanden stimmen zu können und nicht bloß gegen eine Partei, sagt sie. „Ja, zuletzt war es für mich die PO, aber nur weil ich die PiS verhindern wollte.“ So wie sie denken inzwischen viele Polen.

Sie sei froh, aus Überzeugung wählen zu können, sagt Joanna Kosinska
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Quelle: Philipp Fritz

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