Nichts zeigt den Charakter dieser Präsidentschaftswahl besser als das TV-Duell zwischen den beiden Kandidaten. Allerdings ist schon das Wort Duell irreführend. Amtsinhaber Andrzej Duda und sein Herausforderer Rafal Trzaskowski treffen nicht aufeinander, sie ringen nicht um das bessere Argument und reichen einander erst recht nicht die Hand, wie gute Sportsleute es tun.
Duda, der von der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützt wird, steht am vergangenen Montag alleine im Studio von TVP in der Kleinstadt Konskie. Nur hier wollte er auftreten. Der Staatssender gilt seit Jahren als Propagandaorgan der PiS. Im Wahlkampf wird Duda in den Himmel gelobt, Trzaskowski angegriffen – auf eine schrille, fiebrig-aggressive Weise.
Rafal Trzaskowski, der Herausforderer der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO), wollte sich dem nicht aussetzen und lädt stattdessen Journalisten zu seiner eigenen Veranstaltung ein, einer Art Pressekonferenz. So bleiben die Plätze des Gegners jeweils leer. Beide, Duda und Trzaskowski, sprechen an unterschiedlichen Orten und doch gegeneinander.
Bei dem bizarren Distanzduell handelt es sich nicht etwa um einen medialen Ausreißer. Experten fragen sich daher zunehmend, ob die Präsidentschaftswahlen in Polen fair ablaufen. Dass das Staatsfernsehen, dessen Berichterstattung ausgewogen sein soll, derart Partei für Amtsinhaber Duda ergreift, dass dessen Programme inzwischen Wahlwerbung gleichen, ist kein Ausweis einer Gleichbehandlung der Kandidaten.
Umfrageinstitute sehen derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Duda und Trzaskowski vor der Stichwahl am 12. Juli. Wie und was Staats- und regierungsnahe Medien berichten, könnte umso entscheidender sein, wenn zwischen den Kontrahenten am Ende nur wenige Tausend Stimmen liegen.
Bereits Ende Juni kritisierte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in einem Bericht das Staatsfernsehen: Es sei ein „Kampagnenvehikel“ für Duda; sein Herausforderer werde als „Gefahr für polnische Werte und nationale Interessen“ dargestellt. Zudem sei die Berichterstattung mit fremdenfeindlichen und antisemitischen Untertönen „aufgeladen“. Auch die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisierte den Sender.
Es sind nicht nur die polnischen Staatsmedien, die Wahlbeobachtern Sorgen bereiten. Unabhängig davon, wer gewinnt, bestehen erhebliche Zweifel, ob die Präsidentschaftswahlen überhaupt verfassungskonform sind. Der ursprüngliche Termin am 10. Mai nämlich wurde nicht verschoben; vielmehr haben die Wahlen nicht stattgefunden, überstürzt wurde ein neuer Termin ausgerufen. Dieser Prozess war kaum transparent und zerfahren, so wurde zum Beispiel der Wahltag nicht vom Obersten Gericht bestätigt.
Ihr ambitionierter Staatsumbau, die Übernahme der Staatsmedien sowie die sogenannte Justizreform könnte die PiS jetzt aber einholen: Sollte Duda gewinnen, könnte die Opposition das Ergebnis unter Verweis auf die Ungleichbehandlung im Staatsfernsehen anzweifeln.
Die PiS hat sich offenbar abgesichert
Doch sollte Oppositionskandidat Trzaskowski die Wahlen für sich entscheiden, wäre es nicht verwunderlich, würde ein polnisches Gericht die Rechtmäßigkeit des Ergebnisses anfechten. Internationale Experten halten polnische Gerichte nicht mehr für unabhängig, die polnische Regierung befindet sich wegen ihres Justizumbaus in einem Dauerkonflikt mit der EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Nach den Wahlen droht damit Chaos. In Europa könnte Polen ein ziemlich unberechenbarer Partner werden. Ein Land nämlich, in dem nicht klar ist, wer legitim Ämter innehat.
Diese verfassungsrechtliche Uneindeutigkeit, glaubt Daniel Kelemen, sei sogar „beabsichtigt“. Der Professor für Politikwissenschaft und Recht an der Rutgers University im US-Bundesstaat New Jersey ist einer der international anerkanntesten Experten für den Staatsumbau in Polen. „Sollte Duda verlieren, könnte die PiS den zweifelhaften rechtlichen Status der Wahlen nutzen, um deren Gültigkeit vor Gericht infrage zu stellen“, sagt Kelemen im Gespräch mit WELT.
„Weil sie die hohen Gerichte übernommen und mit Loyalisten besetzt hat, würde sie so einen Fall natürlich gewinnen“, so der Experte weiter. Die Partei habe somit eine „Absicherung“ eingebaut, um gegebenenfalls das Ergebnis zu annullieren.
Etwas zurückhaltender mit seiner Einschätzung ist Piotr Buras, der Chef des Warschauer Büros des Thinktanks European Council on Foreign Relations (ECFR). „Die Wahl hat gewisse Mängel – weil der ursprüngliche Termin eben nicht verschoben wurde, sondern weil sie auf eine Wahl folgt, die nicht stattgefunden hat“, sagt er im Interview mit WELT.
Was war geschehen? Lediglich vier Tage vor dem Termin am 10. Mai erklärten der mächtige Vorsitzende der PiS, Jaroslaw Kaczynski, und dessen Bündnispartner Jaroslaw Gowin von der Kleinstpartei Porozumienie (Verständigung), dass die Wahl nicht wie geplant stattfinden werde.
Zwei Abgeordnete ohne Regierungsmandat schufen damit Fakten. Wegen der Kritik, die Wahl während der Corona-Pandemie durchzuführen, aber auch wegen interner Streitigkeiten, hatten Kaczynski und Gowin so entschieden. Die Folge: Am 10. Mai fanden „Geisterwahlen“ statt, bei denen niemand seine Stimme abgab und die deswegen ungültig sein mussten. Dass das Verfassungsrechtler auf den Plan rufen musste, war seinerzeit schon abzusehen.
„Ich denke nicht, dass diese Wahlen verfassungskonform sind“, sagt Marcin Matczak, Juraprofessor an der Universität Warschau, im Gespräch mit WELT. Matczak hat für den Senat, das Oberhaus des polnischen Parlaments, ein Gutachten erstellt, in dem er geprüft hat, inwieweit die Organisation der Wahlen in Einklang mit der Verfassung ist.
Skeptisch ist Matczak vor allem, weil die Corona-Pandemie noch nicht zu Ende ist, auch wenn sie in den Wahlkampagnen so gut wie keine Rolle spielt. „Wenn Teile der Bevölkerung aus Angst um ihre Gesundheit nicht wählen gehen, dann sind bestimmte Grundsätze nicht eingehalten“, erklärt er. Er verweist zudem auf Gesundheitsrisiken für polnische Staatsbürger im Ausland, die in Ländern wählen müssten, in denen es mehr Corona-Fälle gibt als in Polen.
Das Coronavirus dürfte die Wahlen beeinträchtigen
Jedoch erklärte Premierminister Mateusz Morawiecki, dass man sich nicht mehr vor dem Coronavirus fürchten müsse, und forderte dazu auf, am 12. Juli „scharenweise“ wählen zu gehen. Die PiS und damit Duda sind beliebt unter älteren Wählern – von denen aber sind während der ersten Runde am 28. Juni weniger wählen gegangen als vor fünf Jahren. Sie sollen nun mobilisiert werden. Auch hier äußert der Juraprofessor Marcin Matczak Zweifel, ob das den Wählern zuzumuten ist.
Zwar sind sich Experten uneinig über das Ausmaß der Unrechtsmäßigkeiten bei den Wahlen. Bedenken haben sie aber alle. „Wegen der Rolle des staatlichen Fernsehens TVP können wir nicht davon sprechen, dass diese Wahl fair ist“, sagt Piotr Buras. So sieht es auch Juraprofessor Kelemen.
Auch auf der Seite der privaten Medien gebe es zwar spürbar Sympathien für den einen oder anderen Kandidaten, so Buras weiter. Das sei aber eben nicht mit der gewissermaßen staatlichen Kampagne von TVP für Duda zu vergleichen. Für wen die Polen sich am Sonntag auch entscheiden: Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl dürfte das Land noch länger beschäftigen.