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Iran-Abkommen wird umgesetzt – mit Verzögerung

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Ein Video-Screenshot vom iranischen Fernsehen Irib vom Februar 2012 zeigt Zentrifugen in der Atomanlage in Nathans (Iran) Ein Video-Screenshot vom iranischen Fernsehen Irib vom Februar 2012 zeigt Zentrifugen in der Atomanlage in Nathans (Iran)
Ein Video-Screenshot vom iranischen Fernsehen Irib vom Februar 2012 zeigt Zentrifugen in der Atomanlage in Nathans (Iran)
Quelle: picture alliance / dpa
Ende November wurde eine Aussetzung von Irans Atomprogramm verkündet – doch jetzt erst wurden alle Streitpunkte ausgeräumt. Inzwischen könnte das Regime der Bombe gefährlich nahegekommen sein.

Eigentlich hat jetzt die spannende Phase begonnen, lange nachdem die Kameras abgeschaltet und die Korrespondenten nach Hause geflogen sind. Die Gläser, mit denen man am 24. November 2013 angestoßen hat, stehen längst wieder im Schrank, aber erst nun könnte sich erweisen, ob es damals wirklich einen Grund zum Feiern gab: Das Übergangsabkommen zwischen dem Iran einerseits und den fünf Vetomächten im UN-Sicherheitsrat sowie Deutschland andererseits ist noch immer nicht umgesetzt.

Jetzt, gut zwei Monate später, gebe es eine Einigung über den Beginn der Umsetzung, behaupteten zunächst iranische Medien. Sie müsse aber noch von den beteiligten Regierungen abgesegnet werden. „Wir haben Lösungen für alle Streitpunkte gefunden, aber die Umsetzung hängt von der endgültigen Ratifizierung durch die einzelnen Hauptstädte ab“, sagte Vize-Außenminister Abbas Araghchi wenig später dann im iranischen Staatsfernsehen.

Ähnlich äußerte sich die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Es habe „bedeutende Fortschritte in allen triftigen Fragen“ gegeben, ließ Ashton über ihren Sprecher erklären. Die politische Zustimmung aus den Hauptstädten werde gerade eingeholt. Araghchi zufolge wollen die Außenminister der beteiligten Staaten demnächst eine gemeinsame Erklärung herausgeben. Weitere Treffen auf Expertenebene seien zunächst nicht vorgesehen.

Ursprünglich sollte das Abkommen schon ab Anfang Januar in die Tat umgesetzt werden. Zuletzt hatten iranische Vertreter einen Beginn ab dem 20. Januar in Aussicht gestellt. In Genf hatte nun Irans Vize-Außenminister Araghchi erneut mit der stellvertretenden Außenbeauftragten der EU, Helga Schmid, und Wendy Sherman, die Stellvertreterin von US-Außenminister John Kerry verhandelt – unter annähernder Geheimhaltung.

Uran-Anreicherung wird eingeschränkt

Zunächst führte Schmid die Gespräche. Dann übernahm Sherman und diskutierte auch separat mit dem Iraner. Wenn Journalisten wissen wollen, was denn eigentlich noch zu klären ist, dann sagt ein EU-Sprecher: „Ausstehende Fragen.“ Und auf drei Kontinenten rätselten Experten, was damit gemeint sein könnte.

Eigentlich schien die Einigung von Genf recht unmissverständlich: Die internationale Gemeinschaft, die den Iran verdächtigt, im Rahmen seines Atomprogramms auch heimlich an der Entwicklung von Nuklearwaffen zu arbeiten, hebt einen Teil der Sanktionen gegen das Land auf. Die Handels- und finanzpolitischen Erleichterungen brächten dem Iran etwa sieben Milliarden Euro ein. Dafür muss die Islamische Republik ihr Atomprogramm in einigen besonders brisanten Bereichen stoppen.

Der Iran stellt laut Abkommen seine Anreicherung von Uran auf mehr als fünf Prozent ein, also jede Anreicherung über den Grad hinaus, der für den Betrieb von Atomkraftwerken notwendig ist. Für die Verwendung als Sprengstoff muss Uran auf mindestens 85 Prozent angereichert werden und der Iran besitzt Vorräte, die schon auf 20 Prozent angereichert sind. Im Übergangsabkommen verspricht er jedoch, sie in eine ungefährlichere Form umzuwandeln.

Zusätzlich lässt er Kontrollen in Urananreicherungsanlagen zu, schaltet ein Teil seiner dortigen Zentrifugen ab und nimmt keine neuen in Betrieb. Auch der Plutonium-Reaktor von Arak geht nicht in Betrieb. All das soll sechs Monate lang gelten und beiden Seiten Zeit verschaffen, um eine umfassende Lösung auszuhandeln.

Die Furcht vor dem „Breakout Point“

Doch schon in dieser Konstruktion sehen manche Experten eine Gefahr – denn in den fast zwei Monaten, die zwischen der Einigung und ihrer Umsetzung vergangen sein werden, hat das Regime in Teheran weiter radioaktives Material angehäuft, das zu Bombenstoff fortentwickelt werden kann.

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„Selbst wenn die Umsetzung des Abkommens wie geplant Anfang Januar begonnen hätte, wäre durchaus zu befürchten gewesen, dass der Iran nach Ablauf der Übergangsfrist nur noch wenige Monate von dem Punkt entfernt gewesen wäre, an dem er nicht mehr gehindert werden kann, die Bombe zu bauen“, sagt der amerikanische Verhandlungsexperte Orde Kittrie.

„Breakout Point“ (Ausbruchspunkt) nennen Fachleute diesen Moment, an dem Verhandlungen oder militärisches Eingreifen zu spät kämen. „Was ich befürchte, ist: Wir könnten verhandeln und verhandeln und die Sanktionen aufweichen, ohne dass es eine umfassende Einigung gibt. Und am Ende können wir nicht mehr verhindern, dass der Iran Nuklearwaffen erlangt, wenn er das will“, sagt Kittrie.

Er hat als Chefjurist des State Department für Fragen der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen bis 2004 fünf nukleare Abrüstungsverträge zwischen den USA und Russland mit ausgehandelt. Heute ist er Professor an der Universität von Arizona und forscht für den Thinktank Foundation for the Defense of Democracies.

Abkommen hat beschränkte Wirkung

In einer Analyse, die Kittrie zusammen mit dem finnischen Atomexperten Olli Heinonen veröffentlicht hat, warnt er, dass der Iran bei der Einigung vom November nach den Erhebungen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) noch etwas weniger als sechs Monate vom Ausbruchspunkt entfernt gewesen sein dürfte.

Mit jeder Woche, die bis zur Umsetzung vergehen, komme er näher an die Atomwaffenfähigkeit. Und selbst wenn das Abkommen in Kraft trete – es beschränke ja nur die Anhäufung von Bombenstoff. Die Entwicklung von Nuklearsprengköpfen für Langstreckenraketen, für die der IAEA klare Hinweise vorliegen, könne in der Zwischenzeit weitergehen.

„Ich habe noch mal nachgesehen“, sagt Kittrie in Erinnerung an seine Zeit als Atomunterhändler. „Als Libyen 2003 sein Nuklearprogramm aufgegeben hat, wurden sechs Wochen später die ersten 25 Tonnen Gerät und Unterlagen ausgeflogen. So sieht es aus, wenn ein Land es ernst meint. Und was ist im Fall Iran in den letzten sechs Wochen passiert?“

Und selbst, wenn das Übergangsabkommen nun umgesetzt werde, sei eine Einigung innerhalb der Sechs-Monats-Frist ungewiss – aber der Iran werde der Bombe in jedem Fall zumindest technologisch näher kommen.

Iran reklamiert „unveräußerliches Recht“ für sich

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Wenn nun Verhandlungen zu einer umfassenden Lösung beginnen, werden schwierige Themen auf den Tisch kommen. Dazu gehört etwa die Frage, wie sichergestellt werden kann, wie die IAEA wirklich alle Anlagen des weit verzweigten und bisher teils geheimen Atomprogramms lückenlos überwachen kann.

Ein weiterer zentraler Punkt ist das „unveräußerliche Recht auf Urananreicherung“, das der Iran für sich reklamiert. Der Atomwaffensperrvertrag berechtige jedes Land zur friedlichen Nutzung der Kernenergie. Die internationale Gemeinschaft wendet ein, dass dieses Recht nur zugestanden werden könne, wenn die Friedlichkeit des Atomprogramms gesichert sei – und das sei im Iran bisher nicht der Fall. Die sechs Monate für eine Einigung könnten also knapp werden. Und viel Zeit ist schon vergangen.

Einer der Gründe für die Verzögerung könnte ein angeblicher Streit über eine neue Art von Zentrifugen gewesen sein, von der die Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag berichtete. Demnach wurde im Lauf der Verhandlungen über die Umsetzung bekannt, dass der Iran einen weiteren Typ von Urananreicherungsgeräten besitzt, die noch schneller arbeiten, als die moderneren Zentrifugen, die laut Übergangsabkommen gar nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Kittrie: „Das würde den Wert des Abkommens vom November sehr grundsätzlich infrage stellen.“

Hardliner mit Agenda auf beiden Seiten

Andere Experten sind trotz der Verzögerungen nicht so skeptisch. „Es scheint einfach, dass die technischen Aspekte des Abkommens komplexer waren, als die politischen Akteure es erwartet hatten“, sagt Ellie Geranmayeh, Iran-Expertin des europäischen Thinktanks European Council on Foreign Relations. „Das ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, wie kompliziert es ist, politischen Willen in Taten umzusetzen.“

Richtig ist, dass Kritiker des Abkommens insbesondere in den USA und dem Iran während der Verhandlungen über die Umsetzung immer wieder querschossen – die US-Republikaner und einige demokratische Abgeordnete, indem sie im Senat auf neue Sanktionen drängten, und die iranischen Ultrakonservativen, indem sie eine Erhöhung der Anreicherung auf 60 Prozent forderten.

„Die Hardliner auf beiden Seiten reagieren auf einander wie in einem Ping-Pong-Spiel“, sagt Geranmayeh. „In beiden Ländern haben sie ein Interesse daran, ihre jeweiligen Regierungen zu schwächen. Die iranischen Ultrakonservativen wollen sich eben als Hüter nationaler Interessen darstellen.“

Braucht Ruhani einfach mehr Zeit?

Manche Beobachter mahnten auch zur Geduld: Der moderate Geistliche Hassan Ruhani sei im vergangenen Jahr immerhin für ein Reformversprechen zum Präsidenten gewählt worden – und für die Forderung nach einem konzilianteren Kurs im Atomstreit, der den Konservativen nicht passe. Auch müsse er sich die Zustimmung des Obersten Geistlichen Führers Ali Chamenei erhalten, des eigentlichen Machthabers.

Verhandlungsprofi Kittrie leuchtet das nicht ein. „Das Argument, Ruhani brauche mehr Zeit und Konzessionen, weil er seine inneriranischen Kritiker besänftigen muss, scheint mir nicht logisch. Wenn diese Kritiker sein Problem sind, dann wird es für ihn doch nur schwieriger, je länger er die Umsetzung des Übergangsabkommens hinauszögert.“

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