Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Politik
  3. Ausland
  4. Studie: Putin hat den Krieg in der Ukraine angezettelt

Ausland Russland

„Für Putin gibt es überhaupt keine Regeln“

Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin scheint es egal zu sein, was der Westen über ihn denkt Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin scheint es egal zu sein, was der Westen über ihn denkt
Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin scheint es egal zu sein, was der Westen über ihn denkt
Quelle: dpa
Westliche Politiker und Experten diskutieren, wie man mit Putins Propaganda umzugehen hat. Eine russische Journalistin glaubt, dafür sei es längst zu spät, denn Putin handele ohne Regeln.

Der Westen hat das Ausmaß der Herausforderung durch Wladimir Putin noch nicht verstanden. Ihm geht es nicht nur um die Kontrolle über die Ukraine, sondern um die Veränderung der Regeln der internationalen Ordnung, wie sie nach Ende des Kalten Kriegs entstanden sind. Zu seinen Techniken der Verschleierung gehört es aber, Vorstöße wie seine Aggression gegen die Ukraine als bloße lokale Konflikte erscheinen zu lassen und nicht als Teil einer globalen Strategie.

Diese aufrüttelnden einleitenden Bemerkungen von John Herbst, der 2003 bis 2006 US-Botschafter in der Ukraine war, setzten den Ton einer von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Atlantic Council und dem European Council on Foreign Relations (ECFR) in Berlin veranstalteten Tagung über „Russische Desinformationspolitik im 21. Jahrhundert“. Experten aus Politik, Wissenschaft und Medien zerbrachen sich den Kopf darüber, wie den Desorientierungstechniken der putinschen Propaganda beizukommen sei, von der sich ein erheblicher Teil der westlichen Öffentlichkeit beeinflussen und in die Irre führen lässt.

Das klassische Mittel dagegen ist beharrliche Aufklärung, die der Versuchung widersteht, die systematische Desinformation durch den Kreml mit Gegenpropaganda zu beantworten. Zwei neue Studien, die auf der Tagung vorgestellt wurden, weisen nach, dass Moskaus Behauptung, es gebe keine russischen Truppen in der Ukraine, eine dreiste Lüge ist. Der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow hatte kurz vor seiner Ermordung im Februar eine Untersuchung abgeschlossen, in der die Hintergründe von Putins Krieg gegen die Ukraine umfassend dokumentiert werden. Sofort nach seinem Tod wurde sie von den Behörden beschlagnahmt. Unterstützer Nemzows konnten sie, wie sein enger Freund Ilja Jaschin berichtete, jedoch rekonstruieren.

In der Ostukraine kämpfen russische Truppen

Die Studie räumt mit der Legende auf, bei den Kämpfen in der Ostukraine handele es sich um einen „Bürgerkrieg“ zwischen verfeindeten Volksgruppen. Vielmehr ginge es um einen vom Kreml angezettelten Krieg, ausgeführt mit russischen Waffen und Soldaten. Zum Einsatz kommen dabei Spezialeinheiten der russischen Armee und Geheimdienste sowie zahlreiche durch ein dem Verteidigungsministerium unterstelltes Netzwerk angeworbene Söldner. Anders als im Westen geglaubt, so Jaschin, kämpfen in der Ostukraine nicht von Russland unterstützte „Separatisten“, sondern umgekehrt: von lokalen moskautreuen Kräften unterstützte russische Truppen.

Zum selben Ergebnis kommt eine vom Atlantic Council erstellte Studie. Unter anderem haben die Rechercheure auf Twitter gepostete Selfies russischer Soldaten, die während ihres Einsatzes in der Ostukraine aufgenommen wurden, vor Ort auf ihre Echtheit überprüft. Die Aufnahmen belegen, dass in Uniformen ohne Hoheitszeichen gekleidete, reguläre russische Kombattanten an vorderster Frontlinie kämpfen – und sterben.

Doch wie kann man diese Erkenntnisse in einer breiteren westlichen, vor allem aber auch in der russischen Öffentlichkeit verankern? Immer wieder wurde unter den Tagungsteilnehmern der Ruf nach Einrichtung russischsprachiger Sender laut, die den Desinformationskampagnen wahrheitsgetreue Informationen entgegensetzen, dem russischen Publikum aber auch die Realität der westlichen Lebenswelt näherbringen sollen.

Die russische Journalistin Galina Timchenko glaubt, dass Putin sich nicht an Regeln halten möchte
Die russische Journalistin Galina Timchenko glaubt, dass Putin sich nicht an Regeln halten möchte
Quelle: picture alliance / dpa

Skeptisch äußerte sich dazu freilich die russische Journalistin Galina Timchenko. Sie hat für die einflussreiche Internet-Plattform „lenta.ru“ gearbeitet, bevor sie vergangenes Jahr im Zuge einer „Säuberung“ von Kreml-kritischen Mitarbeitern entlassen wurde. Die westliche Öffentlichkeit sei „zu spät dran“, die staatlich gelenkten russischen Medien hätten längst die Kontrolle über die Köpfe erlangt. Ein Beispiel dafür, wie sie Tatsachen verfälschen und umdeuten, sei ihr Umgang mit den westlichen Sanktionen. Diese hatte das Putin-Regime mit Einfuhrbeschränkungen von Lebensmitteln aus der EU beantwortet. Nun aber stellen es seine Propagandisten so hin, als entzöge der bösartige Westen dem russischen Volk die Nahrungsmittel. Und die meisten Russen glauben jetzt, dass an Versorgungsmängeln nur der Westen schuld sei.

Timchenko widersprach der These, Putin wolle Regeln verändern. Er herrsche vielmehr nach dem „Prinzip, dass es überhaupt keine Regeln gibt“. Auch sei es Putin egal, was die westliche Öffentlichkeit über ihn denke. Zwar arbeite er mit allen Kräften im Westen, von ganz links bis ganz rechts, zusammen, die ihm helfen, die EU zu unterminieren. Doch werbe er nicht aktiv um sie, sondern warte, bis sie zu ihm gekrochen kommen.

Mit Putin umzugehen, so laute eine in Russland beliebte Redensart, sei, „wie mit einer Taube Schach zu spielen: Sie schmeißt die Figuren um, scheißt auf das Spielbrett, fliegt weg und erklärt, dass sie gewonnen hat.“ Allerdings, räumte Timchenko ein, gleiche Putin in seiner Willkür und Unberechenbarkeit doch eher einem Hooligan mit Baseballschläger.

Regierungswechsel in Kiew sei kein „Putsch“ gewesen

Anzeige

Carl Bildt, ehemals Ministerpräsident Schwedens und jetzt für den ECFR tätig, mahnte eine deutlich festere Tonart der westlichen Diplomatie an. Lügen wie die, es gebe keine russischen Truppen in der Ukraine, dürfe man sich bei Verhandlungen mit den Russen nicht mehr bieten lassen. Er forderte zudem, offensiver vom Kreml gestrickten Mythen entgegenzutreten, die auch im Westen von vielen für stichhaltig gehalten werden.

So sei es schlicht falsch, das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine schließe ukrainisch-russischen Freihandel aus. Nichts dran sei auch an der Behauptung, der Regierungswechsel in Kiew sei ein „Putsch“ gewesen. In Wahrheit sei er strikt nach der ukrainischen Verfassung verlaufen und habe der im Februar 2014 getroffenen Vereinbarung mit dem damaligen Machthaber Janukowitsch entsprochen. Dass sich dieser über Nacht nach Russland absetzen würde, habe dabei niemand voraussehen können.

Putins Propaganda verbreitet nicht nur Unwahrheiten, sondern zielt darauf, die Fähigkeit zur Unterscheidung von Wahrheit und Lüge, Fakt und Fiktion an sich zu zerstören. Eine an postmodernen Relativismus gewöhnte westliche Öffentlichkeit ist für dieses Verwirrspiel anfällig. Die Tagung macht deutlich: Um diesem Angriff widerstehen zu können, müssen wir selbst erst einmal wieder einen klaren Kopf bekommen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema