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Ausland Gipfelbeschluss

Warum die EU Erdogan Geschenke macht

Redakteur im Ressort Außenpolitik
Merkel begrüßt Einigung auf EU-Gipfel

Bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf Sanktionen gegen Weißrussland geeinigt. Außerdem verständigte man sich auf eine gemeinsame Haltung zur Türkei. Kanzlerin Merkel bezeichnet das als „großen Fortschritt“.

Quelle: WELT

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Nach wochenlanger Blockade Zyperns beschließt die EU Sanktionen gegen Weißrussland. In der Türkei-Frage stellt die EU Ankara zwar ein Ultimatum, kommt der Regierung von Präsident Erdogan aber auch ein gutes Stück entgegen. Ein riskantes Geschäft.

Ein Autokrat in Weißrussland, der protestierende Bürger zusammenschlagen und einsperren lässt; ein Streit um Öl- und Gasquellen im Mittelmeer, der Griechenland und die Türkei beinahe zu den Waffen greifen lässt; dazu ein vergifteter Kreml-Kritiker, der zur Staatsaffäre wird. Europa mangelt es derzeit wirklich nicht an politischem Zündstoff. Neben Fragen zu Weißrussland, der Türkei und dem Fall Alexej Nawalny wollten die Staats- und Regierungschefs bei ihrem zweitägigen EU-Gipfel zur Außenpolitik in Brüssel auch noch diskutieren, wie die Union ihre Interessen gegenüber China künftig besser durchsetzen kann und welchen Beitrag sie zur Entschärfung des Konflikts in Bergkarabach leisten kann.

Die Mitgliedstaaten mussten sich also über vieles einig werden – und der Welt zugleich etwas beweisen, das EU-Ratspräsident Charles Michel im Vorfeld als „strategische Autonomie“ bezeichnet hatte: mehr Souveränität also, vor allem gegenüber den USA und China. Heute Nachmittag endet der Gipfel in Brüssel. Fortschritte gibt es derzeit vor allem bei den lange geplanten Sanktionen gegen Weißrussland. Und die neu beschlossene Position gegenüber der Türkei könnte Folgen über das Mittelmeer hinaus haben. Ein Überblick.

Was wurde zu Weißrussland beschlossen?

Größter Erfolg des Gipfels sind die beschlossenen Sanktionen gegen 40 Weißrussen, die für Wahlbetrug und Gewalt gegen Demonstranten verantwortlich gemacht werden. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte bereits beim letzten Treffen der EU-Außenminister Sanktionen gefordert, die sich direkt gegen Machthaber Alexander Lukaschenko richten. Dieser steht zwar nach dem jüngsten Beschluss nicht auf der Liste der sanktionierten Personen. Das könnte sich laut EU-Ratspräsident Michel aber noch ändern.

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Schon kurz nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl in Weißrussland im August hatte die EU Sanktionen angekündigt. Sie konnten wegen eines Vetos aus Zypern aber bislang nicht verhängt werden. Das Land forderte als eine Art Gegenleistung neue Strafmaßnahmen gegen die Türkei wegen der Erdgasbohrungen im östlichen Mittelmeer. Am Ende gab Zypern seine Blockade auf – jedoch nicht, ohne einen Erfolg verbuchen zu können.

Was wurde zur Türkei beschlossen?

In der Nacht hatten sich in Brüssel die Gerüchte über eine Einigung verdichtet. Ratschef Michel sagte bei einer Pressekonferenz, dass man eine Lösung für die Türkei-Frage gefunden habe. Er bezeichnete das vereinbarte Vorgehen als „doppelte Strategie“. Einerseits gehe es darum, dem politischen Dialog eine Chance zu geben. Andererseits wurde mehr Einsatz von der Türkei verlangt. Im Dezember würden die Staats- und Regierungschefs ihre Beziehungen zur Türkei bilanzieren. Ankara müsse bis dahin „die Provokationen und den Druck“ beenden, so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Im Falle solcher erneuter Aktionen durch Ankara wird die EU alle ihre Instrumente und Optionen nutzen“, sagte sie.

Damit fordert die EU von Präsident Recep Tayyip Erdogan einerseits eine Entspannung im Mittelmeer und drückt ihre Solidarität mit den EU-Partnern Griechenland und Zypern aus. Gleichzeitig macht sie Ankara jedoch großzügig Angebote, darunter die Aussicht auf Handelserleichterungen und eine erweiterte Zollunion, die angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage in der Türkei ein entscheidender Faktor für den Machterhalt Erdogans sein könnten. Die EU bleibt mit ihrem Fokus auf Dialog damit hinter den Forderungen von Frankreich, Österreich, Griechenland und Zypern nach Sanktionen zurück.

Wie kam es zu der Einigung?

Eine Schlüsselrolle spielte Kanzlerin Angela Merkel, die für Deutschland den Vorsitz der Ratspräsidentschaft innehat. Bereits im Vorfeld hatte sie auf einen konstruktiven Dialog mit der Türkei gepocht. Im Anschluss an die nächtliche Einigung zeigte sich Merkel erleichtert und sprach von „großen Fortschritten“. Die Staats- und Regierungschefs hätten eine „umfangreiche, manchmal auch schwierige Diskussion“ geführt. „Aber wir haben uns zusammengerauft und können auf Ergebnisse hinweisen“, so Merkel.

Danach hatte es zu Beginn des Gipfels noch nicht ausgesehen. So hatte etwa der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz am Donnerstag neue Sanktionen gegen Ankara gefordert. Erdogan müssten die „roten Linien gezeigt werden“. Der türkische Präsident wiederum äußerte sich verächtlich und nannte die EU ein „einflussloses und oberflächliches Gebilde“.

Am Ende setzte sich die Kanzlerin mit der Forderung durch, alle Kanäle für eine Verständigung offenzuhalten – die Türkei sei Nato-Partner und werde auch in der Flüchtlingspolitik gebraucht, mahnte Merkel. Die Türkei-Expertin Asli Aydintasbas vom European Council on Foreign Relations hält die Entscheidung vor allem für einen „Erfolg für Ankara“, das nun Sanktionen entgehe und einen großen diplomatischen Spielraum gewonnen habe.

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Aydintasbas zufolge wird die Bundeskanzlerin damit maßgeblich das künftige Verhältnis zwischen der EU und der Türkei bestimmen. „Merkel und Erdogan hatten schon vorher einen Draht zueinander, mit dem Entschluss wird sich diese Beziehung noch vertiefen“, sagt die Expertin. „Allerdings gibt es keine Garantie dafür, wie lange das halten wird.“

Was heißt das für die Außenpolitik der EU?

Dass Zypern seine Blockade der Weißrussland-Sanktionen aufgab und diese nun auf den Weg gebracht werden können, wirft zumindest ein positives Licht auf die wochenlang infrage gestellte Beschlussfähigkeit der EU. Allerdings hatten viele im Vorfeld direkte Sanktionen gegen Machthaber Lukaschenko gefordert. Die jetzige Maßnahme der EU wirkt insbesondere im Hinblick auf die harten und direkten Sanktionen aus Kanada und Großbritannien schwach. Und auch am Vorgehen im Fall Türkei gibt es durchaus Kritik.

Expertin Aydintasbas gibt zu bedenken, dass die geplante „positive Agenda“ schwere Konsequenzen für die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Türkei haben könnte. „Mit dieser Position ist klar, dass sich die EU aus der Innenpolitik Ankaras heraushalten wird“, so Aydintasbas. Angesicht der jüngsten Verhaftungen von Oppositionellen in der Türkei signalisiere man dadurch Erdogan freie Hand, mit aller Härte seine Politik im Inneren durchsetzen zu können.

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Welchen Einfluss Angela Merkel auf die europäische Außenpolitik nimmt, zeigt sich auch in der Einigung zwischen Griechenland und der Türkei, die sich am Donnerstag auf einen Mechanismus zur Vermeidung militärischer Zwischenfälle im östlichen Mittelmeer geeinigt hatten. Unter anderem solle eine „Hotline“ eingerichtet werden, um Konflikte auf See und in der Luft zu vermeiden, teilte die Nato nach mehrwöchigen Verhandlungen der beiden Alliierten in der Bündniszentrale in Brüssel mit. Merkel hatte über Gespräche mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis und Erdogan früh auf eine entsprechende Einigung hingearbeitet.

Zukünftig dürfte noch ein weiterer zentraler Punkt auf die Agenda der EU gelangen. Für die internationale Glaubwürdigkeit der Union wird entscheidend sein, ob das Einstimmigkeitsprinzip aufgegeben wird, mit dessen Hilfe der kleine Inselstaat Zypern eine Gesamtentscheidung der EU wochenlang blockieren konnte.

Sowohl Bundeskanzlerin Merkel als derzeitige Vorsitzende des Europäischen Rates als auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fordern, das Einstimmigkeitsprinzip in der Außenpolitik zu beenden und künftig mit qualifizierter Mehrheit abzustimmen. Dagegen sträuben sich aber vor allem die kleinen Mitgliedsländer, weil sie ihre Vetomacht verlieren würden.

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