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Europäer überschätzen Krisen-Hilfen aus China

Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao knüpft Bedingungen an die Hilfen Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao knüpft Bedingungen an die Hilfen
Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao knüpft Bedingungen an die Hilfen
Quelle: picture alliance / dpa
China tritt in der Euro-Krise als Retter der Schuldenstaaten auf. Doch auch die Möglichkeiten der Volksrepublik sind begrenzt.

Worum geht es

Ob Klaus Schwab geahnt hatte, dass er eine kleine Vorlesung halten müsste, als er die Einladung zum Abendessen annahm? Schwab ist Gründer des Weltwirtschaftsforums, bekannt für die alljährlichen Gipfeltreffen im Schweizer Davos. Vergangene Woche fand ein kleinerer Gipfel der Stiftung in der ostchinesischen Hafenstadt Dalian statt. Am Vorabend hatte Schwab eine ganz besondere Einladung zum Abendessen – mit Chinas Premierminister Wen Jiabao.

Die private Zusammenkunft dauerte zwei Stunden. „Wen Jiabao fragte mich die ganze Zeit über die Schuldenkrise in Europa und die Lage in den USA aus“, erzählte Schwab später. „Er wollte genau wissen, wie schlimm es um Europa steht. Er hörte zu, sagte aber nichts.“

Wen Jiabao diente das Tête-à-tête offenbar der Vorbereitung für seine Rede, mit der er den Gipfel am folgenden Tag eröffnete. Diesmal sprach der Regierungschef über die Schuldenkrise – und die ganze Welt hörte zu. China biete besonders betroffenen, europäischen Ländern seine „ausgestreckte Hand zur Hilfe“, sagte Jiabao.

Gerade erst habe er mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso telefoniert und ihm zugesichert: „Wir wollen weiterhin unsere Investitionen in Europa erhöhen.“ Die Börsen reagierten mit Kursgewinnen auf die Ankündigung. Zumal kurz darauf leitende Mitarbeiter des Finanzministeriums in Rom erklärten, man spreche mit China über große Käufe von Anleihen und Industriefirmen. Ein neuer Retter der Euro-Zone schien bereitzustehen: China mit seinen mehr als 3000 Milliarden Dollar an Währungsreserven.

Was bezwecken die Chinesen mit den Hilfen?

Italien ist nur ein weiteres Land in einer ganzen Reihe von Krisen-Staaten, die bereits zuvor Hilfen aus China verkündet hatten: Spanien beispielsweise, Griechenland und Ungarn – Ankündigungen, die jedes einzelne Mal die Finanzmärkte elektrisierten. Doch wie substanziell sind die Hilfen wirklich, und was bezwecken die Chinesen damit?

Schon schüren die mit großer Geste verkündeten Hilfsangebote Befürchtungen, dass China mit viel Geld Einfluss auf die Länder an Europas Peripherie nehmen könnte. So warnt das European Council on Foreign Relations, ein renommierter Brüsseler Thinktank, davor, dass China mit seinen Investitionen europäische Staaten gegeneinander ausspielen könnte – eine Strategie, die China in Afrika bereits erfolgreich angewandt habe. „Die Investitionen stärken den Einfluss Pekings in einzelnen Ländern und könnten Europa spalten“, warnt Parello-Plesner, einer der Autoren der Studie „Der Kampf um Europa“.

China befeuert diese Ängste zusätzlich, etwa wenn Wen Jiabao sein Angebot von vergangener Woche mit Forderungen verbindet. Europa solle China möglichst schnell als „volle Marktwirtschaft“ anerkennen. Solange das Land in der Welthandelsorganisation nicht über diesen Status verfügt, kann die EU mit Anti-Dumping-Maßnahmen oder Strafzöllen reagieren, wenn China unfaire Handelspraktiken und Billigexporte einsetzt, um Marktanteile zu gewinnen.

Dass China mit Hilfsangeboten Bedingungen verknüpfe, sei nur legitim, sagt Stephen Roach, Asien-Chef der Bank Morgan Stanley. „Wenn sich China an internationaler Unterstützung für Europa beteiligt, hat es jedes Recht, die Bedingungen zu definieren; seien sie wirtschaftlicher, finanzieller oder eben politischer Natur. Europa hat schließlich auch jedes Recht, diese Bedingungen zu akzeptieren oder abzulehnen.“

Zumal in China diskutiert wird, warum ein Schwellenland, dessen Volkswirtschaft sich selbst noch entwickelt, reiche Industriestaaten unterstützen muss. Lokalzeitungen in Dalian erschienen mit Debattenbeilagen unter dem Titel „Sollen wir helfen, wenn Europa Probleme bekommt?“ Die Antworten lauteten zumeist: Selbst, wenn wir es wollten, wir können es nicht.

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Tatsächlich sind Pekings Möglichkeiten beschränkt: Von China zu erwarten, den Euro zu retten, sei „Wunschdenken“, sagt Hu Shuli, einflussreiche Herausgeberin der Wirtschaftszeitschrift „Cai Xin“. Das Land hat zwar die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, aber sein Anteil an der Weltwirtschaft beträgt erst 9,5 Prozent. Die großen Schwellenstaaten China, Brasilien, Indien, Russland und Südafrika machen nur 18 Prozent der Weltwirtschaft aus; die USA, Japan und die EU dagegen 60 Prozent.

Guo Shuqing, Vorstandschef der „China Construction Bank“, nennt China in der europäischen Diskussion „völlig überschätzt“. Das Land habe heute zwar die höchste Sparrate der Welt, jährlich flössen netto 400 Milliarden Dollar ins Ausland – das ist der höchste Wert weltweit.

Chinas Möglichkeiten sind begrenzt

Aber wenn es um Direktinvestitionen geht, sind die Verhältnisse anders: China erhielt 2010 mit 106 Milliarden Dollar an ausländischen Investitionen fast doppelt soviel Kapital, wie es selbst im Ausland investierte. Im ersten Halbjahr 2011 setzte sich dieser Trend fort. China brauche die Weltwirtschaft, um zu wachsen, nicht umgekehrt, argumentieren andere Ökonomen.

So sind Chinas Hilfeleistungen an Europa bisher vor allem Absichtserklärungen geblieben. Weder Chinas Zentralbank noch die Devisenbehörde veröffentlichen, wie viele Euro-Staatsanleihen China seit Ausbruch der Schuldenkrise gekauft hat. Finanzmarktexperten sehen keine Anzeichen dafür, dass China im großen Umfang Anleihen von Krisenländern aufgekauft hat.

Allerdings hat China die Ankündigungen genutzt, um in Europas Schuldenstaaten Schnäppchenpreise für strategische Investitionen zu erzielen. So mehren sich Stimmen, die davor warnen, Peking könnte sich im großen Stil in europäische Schlüsselindustrien einkaufen und damit auch politische Ziele verfolgen.

Unlängst sorgte etwa der chinesische Millionär, Hobby-Poet und ehemalige Regierungsangestellte Huang Nubo mit Plänen für eine 100-Millionen-Dollar-Ferienanlage auf Island für Unruhe. Islands Innenminister Ögmundur Jónasson zeigte sich ob des Kaufs von 300 Quadratkilometern Land besorgt. Kritiker vermuteten dahinter gar geostrategische Ambitionen Chinas im Polarkreis.

Chinesen verfolgen nicht nur kommerzielle Ziele

Experten halten die Befürchtungen in diesem Fall für übertrieben, warnen aber davor, dass chinesische Staatsunternehmen mit ihren Investitionen häufig nicht nur kommerzielle Ziele verfolgen. „Es würde mir Sorgen machen, wenn ein chinesisches Staatsunternehmen ein großes Medienunternehmen aufkauft“, sagt Parello-Plesner. „Das gilt auch für einige sicherheitsrelevante Industrien.“

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Er fordert die Einrichtung eines europäischen Gremiums, das solche Geschäfte genehmigen muss. Die USA haben beispielsweise dem Telekommunikationsausrüster Huawei, dem Verbindungen zur Volksbefreiungsarmee nachgesagt werden, den Kauf eines Datennetzes verboten. Und die Londoner Verkehrsbetriebe haben sogar ein Geschenk der Firma abgelehnt: Huawei wollte der Stadt für die Olympischen Spiele ein Mobilfunknetz für die U-Bahn spendieren.

Steffen Dyck, China-Experte der Deutschen Bank, glaubt allerdings, dass geopolitisch motivierte Investitionen die Ausnahme sind. „Bei Investitionen chinesischer Staatsunternehmen vermischen sich bisweilen politische und ökonomische Ziele, allerdings stehen dort immer auch kommerzielle Überlegungen hinter den Investitionen“, sagt Dyck.

„Private Firmen aus China hingegen wollen mit Aufkäufen in den meisten Fällen Zugang zu Absatzmärkten, Technologien und Markennamen.“ Angesichts der Probleme vieler Länder in der Euro-Zone rechnet Dyck damit, dass China künftig verstärkt in Deutschland einkaufen könnte. Dann dürfte die Diskussion über chinesische Investitionen und deren Motive auch hierzulande intensiver werden.

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