Eurokrise: Berlin blickt nach China

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Kanzlerin Merkel steht vor einem Zwiespalt: Je stärker die schwächelnde EU ihre Führungskraft braucht, desto größer wird die ökonomische Bedeutung des Fernen Ostens.

Brüssel. Griechenland oder Guangdong, Eurokrise oder Exportwunder: Für Deutschlands politische Führung stellt sich die Wahl ihrer politischen Prioritäten zusehends schwieriger dar. Zwar würde ein Ausscheiden der Griechen aus der Währungsunion die Bundesrepublik rund 80 Milliarden Euro an abzuschreibenden Kreditforderungen gegen Athen kosten – direkt über die Beteiligung an den Rettungspaketen und indirekt über die dann zu realisierenden Verluste der Europäischen Zentralbank. Abgesehen von der fatalen Auswirkung auf das europäische Einigungswerk gibt es also staubtrockene ökonomische Gründe gegen die Wiedereinführung der Drachme. Doch der volkswirtschaftliche Aufstieg Chinas lenkt im Zusammenspiel mit der starken Exportabhängigkeit Deutschlands die Berliner Regierungsspitze von der beherzten Lösung der politischen Krise in Europa ab, argumentiert Hans Kundnani vom European Council on Foreign Relations in einem neuen Thesenpapier.

„Die deutsche Führung ist frustriert, weil ihr Versuch scheitert, einen gemeinsamen strategischen europäischen Zugang zu China zu formen, und weil sie das Gefühl hat, nicht mehr länger warten zu können“, hält Kundnani fest. Kein Wunder: China ist der drittwichtigste Markt für deutsche Waren und trug laut der italienischen Bank Unicredit im Jahr 2011 allein 0,5 Prozent zum deutschen Wirtschaftswachstum bei. So eine wichtige Handelsbeziehung muss auch politisch gepflegt werden. Im Juni 2011 trafen sich die Regierungen der beiden Staaten erstmals zu einer gemeinsamen Arbeitssitzung: Mit keinem anderen europäischen Staat tut China bisher so etwas.

Die perfekte Symbiose

Zumal sich das deutsch-chinesische Bündnis fortschreitend vertieft. Daran haben bewusste ordnungspolitische Entscheidungen in Berlin einen großen Anteil, notiert Kundnani. Die Strukturreformen der rot-grünen Bundesregierung Gerhard Schröders haben nämlich die Bedeutung des Außenhandels enorm verstärkt. „Deutschlands Volkswirtschaft ist strukturell davon abhängig geworden, dass der Export für Wachstum sorgt“, zitiert Kundnani den britischen Ökonomen Simon Tilford. Und so gebe es heute eine „beinahe perfekte Symbiose zwischen der deutschen und der chinesischen Volkswirtschaft“, schreibt Kundnani. „China braucht Technologie, Deutschland braucht Märkte.“

Das spiegelt die beinahe alle deutschen politischen Parteien umfassende Sichtweise wider, dass der Wohlstand in Europa nur dann zu erhalten ist, wenn Lohnstückkosten und Arbeitsproduktivität den Erfolg im globalen Wettbewerb ermöglichen. Das Leitmotiv von Kanzlerin Angela Merkel ist die Wettbewerbsfähigkeit auf der Weltbühne. Sie möchte den Krisenstaaten in Europas Randlage mit dem deutschen Vorbild der Ausrichtung auf die Weltmärkte auf die Beine helfen. Das hat allerdings einen bedeutenden Schönheitsfehler: Ein kleines, randständiges, mehrheitlich agrarisches Land wie Griechenland kann nie die Exportkraft entwickeln wie die seit gut 200 Jahren industrialisierte, im Herzen Europas liegende Kontinentalmacht Deutschland.

Das wirft die zentrale europapolitische Frage unserer Zeit auf: Will Deutschland überhaupt die Führungsrolle in Europa übernehmen? Der polnische Außenminister Radek Sikorski sagte vor einigen Monaten, er „fürchte die deutsche Macht weniger, als ich beginne, die deutsche Tatenlosigkeit zu fürchten“. Und zumindest den Buchstaben nach sieht auch die deutsche politische Spitze das so. „Nur eine Führungsnation, ein wohlwollender Hegemon oder Stabilisator“ kann eine stabile Weltwirtschaft schaffen und erhalten, sagte Finanzminister Schäuble vor etwas mehr als einem Jahr. Daraus schloss Schäuble für Europa, dass Deutschland und Frankreich diese Rolle übernehmen müssten.

Doch zu führen heißt nicht, den anderen Europäern seinen Willen aufzuzwingen, kritisierte Kundnani erst in einem anderen Beitrag. Genau das aber tue Merkel. Und damit führe sie ihr Land und Europa in eine Paradoxie: „Obwohl Deutschland mächtiger ist als je zuvor in der EU, ist es in einiger Hinsicht auch so isoliert wie noch nie“, hielt Kundnani fest. „Das ist keine Hegemonie.“ Und so schadet sich Deutschland mit seinem Starrsinn in der Eurokrise letztlich selbst. Denn, so Kundnani: „Deutschland hat ein klares Interesse am Überleben des Euro – nicht zuletzt deshalb, weil seine Schwäche im Vergleich zur D-Mark seinen Exporten nutzt.“ Denn, bevor es vergessen wird: Die meisten deutschen Exporte gehen nicht in den Fernen Osten, sondern nach Westen – nach Frankreich und in die USA.

Auf einen Blick

Berlin orientiert sich in der Eurokrise zunehmend an China: Die Großmacht ist nach Frankreich und den USA der drittwichtigste Markt für Waren aus Deutschland, das mit der verstärkten Ausrichtung auf die Weltmärkte auch den strauchelnden Europartnern wieder auf die Beine helfen will.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2012)

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