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Die USA und Großbritannien
Sorge um den kleinen Cousin

Die Wahlen in Großbritannien werden in den USA sehr genau beobachtet. Die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien ist der sicherheitspolitisch wichtigste Partner der USA – noch jedenfalls. Das eigentümliche Verhältnis, die "special relationship", hat zuletzt deutlich gelitten.

Von Marcus Pindur, Büro Washington | 07.05.2015
    Für Oscar Wilde war es noch sehr einfach. Großbritannien und die USA seien verbunden durch einen Ozean, aber getrennt durch die Sprache, lautet sein vielzitiertes Bonmot. Doch der kulturelle Hochmut, mit dem Großbritannien noch Ende des 19. Jahrhunderts auf die ehemaligen Kolonien auf dem amerikanischen Kontinent herab blickte, hat nach dem Zweiten Weltkrieg einer Rolle als kleinerer Cousin Platz gemacht.
    Die USA sind der größere und für die Briten unverzichtbare Partner. Aber auch für die USA ist die Zusammenarbeit mit Großbritannien auf vielen Feldern essenziell. Nirgends auf der Welt haben amerikanische Firmen so viel investiert wie in England, Wales und Schottland. Sicherheitspolitisch war Großbritannien stets der verlässlichste Bündnispartner. Von Korea bis Afghanistan gibt es nach dem Zweiten Weltkrieg kaum einen Konflikt, in dem die beiden angelsächsischen Länder nicht gemeinsam gefochten haben. Die Geheimdienstkooperation im Rahmen der Five-Eyes könnte enger nicht sein.
    "In einen Zustand der Einflusslosigkeit manövriert"
    Umso überraschter war die Reaktion in den USA, als es Premierminister Cameron 2013 nicht gelang, im britischen Parlament ein Mandat für gemeinsame Luftschläge gegen das Assad-Regime durchzusetzen. Auch bei der Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staates fehlt Großbritannien. Und in der Ukraine-Krise, in der das europäische Gleichgewicht und das Friedensregime nach dem Ende der Sowjetunion auf dem Spiel steht, ist von britischer Diplomatie weit und breit nichts zu sehen.
    Das sei frappierend, so der Historiker Timothy Garton Ash, der in Oxford lehrt. "Großbritannien hat sich von der Weltbühne in einer außergewöhnlichen und deprimierenden Art verabschiedet. Es hat sich in Europa in einen Zustand der Einflusslosigkeit manövriert. Und es hält sich aus allen großen Problemen der Welt raus."
    In den USA beobachtet man mit Anerkennung, dass Premierminister Cameron die Briten aus der Rezession geführt und die von der Labour-Partei und seinem Vorgänger Gordon Brown zerrütteten Staatsfinanzen wieder auf ein seriöses Gleis gebracht hat.
    Rückzug Großbritanniens auf sich selbst
    Doch sowohl im Fall der Ukraine als auch in der Euro-Krise ist Angela Merkel der wichtigere Ansprechpartner für Barack Obama. Das diplomatische Desinteresse der Cameron-Regierung und der Rückzug Großbritanniens auf sich selbst wird in Washington mit Sorge betrachtet. Von Deutschland ist man es gewohnt, dass die NATO-Vorgabe von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigungsausgaben nicht erbracht wird. Dass Großbritannien unter diese Marke rutscht, löst in den USA Unbehagen aus. Auch die immer lauter werdende Debatte um einen EU-Austritt Großbritanniens wird in Washington mit Unverständnis zur Kenntnis genommen. Sowohl Großbritannien als auch Europa würden durch einen britischen EU-Austritt geschwächt, das ist der weitgehende Konsens in Washington.
    Dass die nächste britische Regierung, egal wer sie stellt, mehr internationale Ambitionen zeigt, erwartet kaum jemand in Washington. Präsident Obama hat allerdings auch wenig Energie in die Zusammenarbeit mit Premier Cameron gesteckt. Wahrscheinlich wird erst der nächste amerikanische Präsident wieder versuchen, das Verhältnis der USA zu Großbritannien wiederzubeleben.