Gedenken und Europatag

Warum Aussöhnung so wichtig ist

05:51 Minuten
Auch am 9. Mai begehen einige Polen das Gedenken an das Kriegsende vor 75 Jahren.
Auch am 9. Mai begehen einige Polen das Gedenken an das Kriegsende vor 75 Jahren. © picture-alliance/Sputnik/Alexey Vitvitsky
Jana Puglierin im Gespräch mit Alexander Moritz  · 09.05.2020
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Auch für die Enkelgeneration ist die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren emotional: Die Politologin Jana Puglierin über ihre Großeltern, deutsch-polnischer Versöhnung und die Weitergabe von Geschichte an ihre Kinder.
Es war die Woche des Gedenkens an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa vor 75 Jahren. Als Teil der Enkelgeneration habe sie eine sehr emotionale Beziehung zu diesem Jubiläum, sagt unser Studiogast, die Politologin Jana Puglierin.
Ihr Großvater mütterlicherseits sei einfacher Wehrmachtssoldat gewesen, der 1945 in die Kriegsgefangenschaft geriet. Er sei in einem ländlichen Betrieb als Zwangsarbeiter beschäftigt worden. Dort habe ihre polnische Großmutter damals gearbeitet und ihn gerettet, weil sie ihm Essen zugesteckt habe. Dabei habe sie ihren ersten Mann im Krieg gegen die Deutschen verloren.
Die Politikwissenschaftlerin Jana Puglierin leitet die deutsche Zweigstelle des außenpolitischen Think Tanks European Council on Foreign Relations.
Die Politikwissenschaftlerin Jana Puglierin verbindet sehr viel mit der europäischen Aussöhnung nach dem Zweiten Wekltkrieg. © DGAP / Dirk Enters
"Das war für mich immer Anlass darüber nachzudenken, warum Europa so wichtig ist, warum Aussöhnung so wichtig ist und warum es so wichtig ist, dass wir nie mehr in eine solche Situation kommen", sagt die Leiterin des Berliner Büros der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR). "Deshalb war der gestrige Tag für mich ein emotionaler Tag und ist auch der heutige Europatag ein emotionaler Tag, weil das sehr eng miteinander verbunden ist."
Wenn sie sich die deutsch-polnischen Beziehungen ansehe und die Geschichte ihrer Großeltern, werde deutlich, dass man Grenzen und Vorurteile überwinden könne. "Das fand ich immer extrem beeindruckend."
Der Aussöhnungsprozess zwischen Deutschland und Polen habe sehr gut funktioniert. Allerdings sorge der Regierungskurs der in Waschau regierenden Partei PiS seit 2015 dafür, dass die Beziehungen extrem auf die Probe gestellt würden. Studien zeigten aber, wie eng die beiden Gesellschaften auf der Ebene der Bürger miteinander verflochten seien.

Schwieriger Umgang mit Geschichte

Puglierin erinnert an den Satz: "Wer die Geschichte kontrolliert, dem gehört die Zukunft." In vielen Ländern Europas könne man sehen, dass die Geschichte umgedeutet wird. Die Politologin nannte als Beispiel Russland, wo heute am 9. Mai das Gedenken an den Großen Vaterländischen Krieg begangen wird. Aber nicht nur dort würden Geschichtsbücher neu geschrieben und es werde ein Heldenepos aufgebaut.
Eine weitere Gefahr sei der Verlust von Zeitzeugen. "Ich kann mich eben noch sehr lebhaft an meine Großeltern erinnern und habe die deutsche Teilung noch als Kind mitbekommen."
Heute versuche sie, ihren eigenen Kindern Geschichte zu vermitteln und zu erklären, wo sie herkämen. Mit ihren sieben und zehn Jahre alten Söhnen habe sie am 8. Mai ein ARD-Kinderprojekt "Der Krieg und ich" angesehen, wie Kinder den Krieg erleben. "Außerdem erzähle ich meinen Kindern regelmäßig von ihren Urgroßeltern."
(gem)

Jana Puglierin leitet das Berliner Büro der außenpolitischen Denkfabrik "European Council On Foreign Relations" (ECFR) seit Januar 2020. Sie studierte Politikwissenschaft, Völker- und Europarecht und Soziologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, der Venice International University und der State University of New York (SUNY) at Albany und promovierte über Leben und Denken von John H. Herz.

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