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Referendum in den Niederlanden
Politologe Janning: "Das größere Problem hat die EU"

Das Nein der Niederländer zum EU-Ukraine-Abkommen ist vor allem für Europa ein Problem, sagte der Politikwissenschaftler Josef Janning im DLF. Das Votum sei ein weiterer Baustein in der Kette der aktuell populären Europakritik. Hinweggehen könne die EU über das Votum nur zum Teil. Beim Thema Zusammenarbeit brauche die europäische Politik aber eine Veränderung ihres Umgangs mit dem, was sie tut.

Josef Janning im Gespräch mit Martin Zagatta | 07.04.2016
    Josef Janning vom European Council on Foreign Relations auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2008.
    Josef Janning vom European Council on Foreign Relations auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2008. (Imago / Wolf P- Prange)
    Martin Zagatta: Wir sind jetzt verbunden mit dem Politikwissenschaftler und EU-Experten Josef Janning. Guten Abend!
    Josef Janning: Guten Abend, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Janning, wer hat jetzt ein Problem oder das größere Problem, die Niederländer oder die EU?
    Janning: Ich glaube, am Ende hat die EU das größere Problem. Für die Niederlande geht es jetzt nun darum, wie gehen sie mit dieser Entscheidung um, die sie nicht ignorieren können, die aber eigentlich die von allen Kammern des niederländischen Parlaments ja schon getroffene Entscheidung widerlegt. Da muss man irgendeinen Kompromiss finden. Für Europa ist die Schwierigkeit die, dass wir ein weiteres Indiz oder einen weiteren Baustein in dieser Kette der populären Europakritik haben, eine Nein-Entscheidung, die mit der konkreten Sache nicht viel zu tun hat, aber viel mehr mit der allgemeinen Stimmung.
    Zagatta: Hat das praktisch irgendwelche Konsequenzen?
    Janning: Das kann als nächstes die Konsequenz haben, dass es in der britischen Debatte schwieriger wird für das Ja-Lager, für das Lager, das Großbritannien in der EU halten möchte. Es hat aber auch zur Konsequenz, dass die europäische Politik, die ja ohnehin sich schwer tut, Geschlossenheit, Handlungsfähigkeit, auch Handlungsfähigkeit in angemessener Zeit, unter Beweis zu stellen, nun noch zögerlicher, nun noch zaghafter wird und noch weniger handlungsfähig wird.
    EU kann nicht wirklich über das Votum hinweggehen
    Zagatta: Kann denn die EU über dieses Votum jetzt hinweggehen? Denn das Abkommen mit der Ukraine, das will man ja wohl nicht antasten.
    Janning: Sie kann es, aber nicht wirklich. Sie kann es zu einem Teil, denn dies ist ein sogenanntes gemischtes Abkommen. Deswegen auch die Ratifikation sowohl auf der EU-Ebene als auch auf der Ebene jedes Mitgliedsstaates, weil zum Teil EU-Zuständigkeiten betroffen sind und zum Teil Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten. Nun ist durchaus möglich, dass man die Bereiche, die in die Zuständigkeit der EU fallen, in Kraft setzen kann und den Niederlanden einen Weg eröffnet, dass sie in ihren staatlichen Zuständigkeiten nicht an den Bestimmungen dieses Abkommens teilnehmen. Das sieht nicht gut aus, ist aber grundsätzlich möglich.
    Zagatta: Ist das nicht das grundsätzliche Problem der EU, dass Sie sagen, es sieht nicht gut aus, ist aber grundsätzlich möglich, dass man das in der Vergangenheit ja gemacht hat? Wenn ich an Volksabstimmungen denke in Frankreich, in den Niederlanden ja auch gegen die EU-Verfassung, die Iren hat man zweimal abstimmen lassen, bis das Ergebnis gepasst hat. Ist das nicht ein großes Problem?
    Janning: Ja, das ist ein großes Problem. Es ist nicht so sehr ein Problem demokratische Legitimation an sich, sondern es ist ein Problem, dass dann, wenn es um wirklich entscheidende Stationen geht, die Offenheit einer politischen Entscheidung nicht mehr gegeben ist, die dann etwa dadurch unterstrichen werden könnte, dass ein europaweites Referendum stattfände, oder dass man daran im Anschluss eine Europawahl hält, die dann aber auch eine entsprechende Mehrheitsbildung und Regierungsbildung auf europäischer Ebene zur Folge haben müsste. Das findet auf europäischer Ebene anders statt, weil im Kern die Veränderungen der Substanz der Integration immer aus einer Verhandlung unter den Regierungen heraus entstehen.
    Europa in der doppelten Erfolgsfalle
    Zagatta: Kann man aus Ihrer Sicht dabei bleiben? Ist Europa reformfähig? Wäre das überhaupt durchzusetzen, das zu ändern in irgendeiner Form?
    Janning: Auf die kurze Sicht ist das nicht umzusetzen. Ich glaube, die europäische Politik braucht eine Veränderung ihres Umgangs mit dem, was sie tut. Denn Europa befindet sich in einer Art doppelten Erfolgsfalle. Es ist nicht nur so, dass die Leistungen der Integration selbstverständlich geworden sind und keine Zustimmung mehr erzeugen, sondern auch die Europäer haben es geschafft, durch dieses System EU die Schwäche der nationalen Handlungsfähigkeit so gut zu kompensieren, dass den Menschen dieser Zusammenhang gar nicht einsichtig ist. Das heißt, viele glauben, dass nach wie vor die Nation und der nationale Handlungszusammenhang das Wichtigste ist, während in Wirklichkeit schon etliche Bereiche dieses Maßes an Wohlstand, Sicherheit und Selbstbestimmung, das wir haben, davon abhängen, dass wir Dinge gemeinsam entscheiden. Politisch verkauft sich das nicht leicht. Damit gewinnt man keine Wahlen, das versteht und erzählt sich nicht leicht. Aber das ist das, was wir in Europa anerkennen müssen, einsehen müssen. Wir müssen Schluss machen mit der Fiktion, dass in Wirklichkeit die Verhältnisse durch uns geregelt werden, während wir sie seit langem und ziemlich erfolgreich sogar gemeinsam regeln.
    Zagatta: Wenn diese Einsicht aber fehlt, wenn da Rechtspopulisten und andere EU-Kritiker so im Aufwind sind, welche Zukunft geben Sie der EU?
    Janning: Dann wird es sehr schwer für die EU. Denn Sie sehen ja an einem Prozess wie jetzt dieser Debatte um das Referendum in den Niederlanden, wie schnell sich eine große Koalition der Neinsager bildet. Da sind diejenigen, die gewissermaßen die Bündelung von Souveränität für das größte Problem halten, die Rechtspopulisten, und es zurückholen wollen, die sind dagegen. Aber sie machen ihr Anliegen fit für eine breitere Wählerschaft, indem sie sie als Demokratiefrage einkleiden. Und viele Menschen, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen, oder nicht richtig wahrgenommen fühlen, die schließen sich dem an, und am Ende geht es nicht wirklich um das, was im Referendum auf dem Zettel steht, sondern um dieses Gefühl, um dieses Gefühl, nicht im Mittelpunkt der politischen Aufmerksamkeit zu stehen. Daran kann Europa kurzfristig nichts ändern, auch nicht durch technische oder einzelne rechtliche Anpassungen.
    Zagatta: Der Politikwissenschaftler Josef Janning heute Abend im Deutschlandfunk. Herr Janning, ich bedanke mich für das Gespräch.
    Janning: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.