1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

EU-Gipfel: Weiter Streit ums Geld

Barbara Wesel
17. Juli 2020

Regierungschefs aus 27 EU-Ländern beraten über ein Finanzpaket von rund 1,8 Billionen Euro. Sie streiten über den Corona-Wiederaufbau-Fonds und die Verteilung des mehrjährigen Haushalts. Aus Brüssel Barbara Wesel.

https://p.dw.com/p/3fRdp
Belgien EU-Parlament Angela Merkel
Bild: picture-alliance/AP Photo/F. Seco

Normalerweise stellt sich die Bundeskanzlerin ihren Geburtstag wohl anders vor. Aber Angela Merkel wird diesen 17. Juli im Kreise ihrer 26 europäischen Kollegen verbringen müssen, und festliche Stimmung ist nicht zu erwarten. Der Streit um Höhe und Modalitäten des 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbau-Fonds wird heftig. Die Verhandlungen werden dadurch kompliziert, dass gleichzeitig der knapp 1,1 Billionen Euro große EU-Haushalt auf dem Tisch liegt. Diese Kombination bietet jede Menge Ansatzpunkte für Erpressungen, trickreiche Rechenkünste und politisches Posieren.

Der Kompromissvorschlag

Nach Monaten der Videokonferenzen wird zum ersten Mal wieder persönlich verhandelt, denn für eine Einigung bedarf es zahlreicher Zweier- und Dreiergespräche am Rande des Gipfeltreffens. Unter vier Augen muss Angela Merkel als EU-Ratspräsidentin in diesem Halbjahr versuchen, die Streithähne und ihre Wünsche auf einen Nenner zu bringen.

Der permanente Ratsvorsitzende Charles Michel schlug in seinem Einladungsschreiben zum Gipfel einen ernsten Ton an: "Ein Abkommen ist unabdingbar - zum Wohle unserer Bürger." Und der Belgier stellt "harte Arbeit" in Aussicht. Um zwischen den widerstrebenden Positionen Brücken zu bauen, hatte er in der vorigen Woche einen Kompromissvorschlag vorgelegt. Im EU-Jargon heißt das "Verhandlungsbox", weil darin verschiebbare Bestandteile enthalten sind, die zu Kompromissangeboten zusammengefügt werden können.

Infografik EU Aufbaufonds Haushalt DE

Michels Paket enthält also den Vorschlag der EU-Kommission für einen Wiederaufbau-Fonds  von 750 Milliarden Euro, der damit ein Drittel höher liegt als der deutsch-französische Plan vom Mai. Zwei Drittel dieser Summe sollen in Form von Zuschüssen gezahlt werden, der Rest als Kredite. Zum ersten Mal in der EU-Geschichte soll die Kommission dafür Schulden am Finanzmarkt aufnehmen dürfen. Das Geld soll dann aus dem Haushalt und neuen Eigenmitteln - Einnahmen, die noch beschlossen werden müssen - ab 2026 zurückgezahlt werden.

Die Mittel müssen für Zukunftsprojekte sowie den ökologischen und digitalen Wandel in der EU ausgegeben werden. Sie sollen nicht in den Haushalten der Mitgliedsländer versickern. Hier wird sich der Streit sowohl an der Höhe des Fonds als auch an den Bedingungen für die Vergabe des Geldes und die Verteilung entzünden.

Infografik EU Aufbaufonds Geber Empfänger DE

Ein großer Teil des Geldes geht an die südeuropäischen Länder mit Spanien als größtem Empfänger. Dort wie in Italien wird der Einbruch der Wirtschaft bei rund 11 Prozent in diesem Jahr liegen. Dass die EU-Länder im Süden an den Folgen der Pandemie mehr gelitten haben als der Norden, ist unbestritten. Dennoch gibt es am Verteilungsschlüssel Kritik: "Ein Land wie Polen kann nahezu mit dem Dreifachen seines Wachstumsverlusts aus den EU-Kassen rechnen, Irland geht mit gerade einmal zehn Prozent seines Corona-Schadens fast leer aus. Eine gezielte Krisenbekämpfung sieht anders aus", sagt Friedrich Heinemann vom Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW.

Geschrumpft wurde im Gegenzug der reguläre EU-Haushalt für die nächsten sieben Jahre, und zwar um rund 25 Milliarden Euro. Damit will Charles Michel die Netto-Zahler beruhigen, die auch noch den Ausfall des bisherigen britischen Beitrags nach dem Brexit ausgleichen müssen.

Gemälde  Roymerswaele Zwei Steuereinnehmer
Ein Blick in die niederländische Geschichte - schon im 16. Jahrhundert ging es um jeden GuldenBild: picture-alliance/akg-images/E. Lessing

Dagegen geht wiederum das Europaparlament auf die Barrikaden, das deutlich mehr Geld gefordert hatte. Der SPD-Abgeordnete Jens Geier spricht schon von einer "Unterfinanzierung", der Forschung und Infrastrukturprogramme zum Opfer fielen. Das EU-Parlament muss dem Haushalt am Ende zustimmen. Es wird allerdings bezweifelt, dass die Abgeordneten das Finanzpaket ablehnen, weil sie den Wiederaufbau-Fonds dringend wollen. 

Die "Sparsamen Vier" und die Kontrolle

Als Sprecher der "Sparsamen Vier" gilt der niederländische Premier Mark Rutte. Er war ursprünglich gegen die Aufnahme von gemeinsamen Schulden. Dann forderte er, das Geld dürfe nur für Kredite verwendet werden. Dagegen wehrte sich vor allem Italien, das seine immense Staatsverschuldung von rund 130 Prozent nicht noch weiter erhöhen will.

Wenn der Niederländer Zuschüsse überhaupt in Betracht zieht, dann will er für sein Parlament die totale Kontrolle über den Verwendungszweck. Er fordert, dass jedes Projekt aus dem Wiederaufbau-Fonds einstimmig von allen EU-Regierungen abgesegnet werden solle. Daran kann der Gipfel an diesem Wochenende scheitern.

Hinter den Niederlanden reihen sich die Österreicher - Kanzler Sebastian Kurz fordert Einschränkungen bei den EU-Ausgaben -, Dänemark und Schweden ein. Der schwedische Regierungschef Stefan Löfven hat noch einmal bekräftigt, auch ein Veto seines Landes sei denkbar, wenn die Forderungen der "Sparsamen" nicht erfüllt würden.

Die "Gesetzlosen Vier" und die Rechtsstaatlichkeit

Das ungarische Parlament hat beschlossen, man werde dem EU-Finanzpaket nicht zustimmen, wenn das Verfahren gegen Ungarn wegen Verletzung der Rechtsstaatlichkeit nicht eingestellt wird. Kritiker werten das als nackte Erpressung. Premier Viktor Orban kündigt darüber hinaus sein Veto für den Fall an, dass die Vergabe von EU-Geld künftig überhaupt an die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit gebunden werden sollte. Im Verhandlungsvorschlag für den Gipfel erscheint der entsprechende Passus allerdings schon weichgespült. 

Viktor Orban Premierminister Ungarn Presse
Auch bei diesem Gipfel dürften sich wieder viele Augen auf Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban richtenBild: picture-alliance/NurPhoto/R. Pareggiani

Zu Ungarn gesellen sich Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei und teilweise Slowenien. Die Regierung in Warschau wird immer autokratischer, in Prag steckt sich der Regierungschef EU-Gelder in die eigenen Taschen und auch an den Nachbarn gibt es Kritik. Die EU fördere seit Jahren mit ihrem Geld die antidemokratische Entwicklung in Teilen Osteuropas, sagt der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund und fordert ein Machtwort von Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin müsse ihrem Versprechen, sie werde für demokratische Grundwerte einstehen, auch Taten folgen lassen. Diplomaten in Brüssel erwarten allerdings, dass sie den Corona-Fonds nicht an fehlender Rechtsstaatlichkeit scheitern lassen wird.

Die "Bedürftigen Drei" und die Zuschüsse 

Der Wiederaufbau-Fonds soll den Ländern helfen, die am meisten unter der Pandemie gelitten haben: Italien, Spanien und Portugal. Vor allem in Rom ist dabei ein regelrechter Kulturkampf entbrannt. Die Fünf-Sterne-Partei in der Regierungskoalition lehnt Hilfskredite unter allen Umständen ab. Sie seien eine politische Beleidigung, ebenso wie Auflagen oder Kontrollen. Regierungschef Giuseppe Conte wird es zu Hause schwer haben, eine Kompromisslösung zu verkaufen. Zu der radikalen Forderung der Niederlande muss er jedenfalls Nein sagen.

Deutschland Berlin | Angela Merkel & Giuseppe Conte, Ministerpräsident Italien
Italiens Premier Giuseppe Conte holte sich Zuspruch bei der Bundeskanzlerin Bild: Reuters/T. Schwarz

Bei seinem Treffen mit der Kanzlerin Anfang der Woche mahnte der Italiener, man könne das ökonomische Auseinanderdriften der EU nicht zulassen, das würde "den Binnenmarkt gefährden". Und Angela Merkel versprach ihrem Gast "etwas Besonderes, etwas Wuchtiges". Kann sie dieses Versprechen einlösen?

"Die Wege sind noch weit..."

"Es wird schwierig", sagt Susi Dennison vom European Council on Foreign Relations, denn einige der historischen Differenzen zwischen Netto-Zahlern und Empfängern in der EU brächen wieder auf. Aber die Bürger hätten ein Bedürfnis nach mehr Kooperation. Die Regierungschefs müssten jetzt über die technischen Einzelheiten hinausblicken, denn jeder Erpressungsversuch und egoistische Fehltritt werde die EU und ihre Zukunft schädigen.

Das entscheidende Wort hat hier die erfahrenste unter den 27 Teilnehmern, an deren legendärer Verhandlungskunst alles hängen wird: "Die Wege sind noch weit, die wir gehen müssen", sagt Angela Merkel. In Brüssel wird gemunkelt, dass der Gipfel sich bis in den Sonntag hinziehen und dass es trotzdem in einem Anlauf nicht klappen könnte.