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Machtkampf der Salafisten

Matthias Sailer10. Oktober 2012

Ägyptens größte Salafistenpartei befindet sich in Aufruhr. Die Parteiführung streitet sich über den Einfluss der Mutterorganisation, das Verhältnis zu den Muslimbrüdern und parteiinterne Wahlen.

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Salafistendemonstration in Kairo (Foto: PATRICK BAZ/AFP/GettyImages)
Ägypten Parteien Salafisten Salafistendemonstration in Kairo Tahir PlatzBild: PATRICK BAZ/AFP/GettyImages

Die Salafisten sind aus Ägyptens politischer Landschaft kaum noch wegzudenken. Wie in anderen Ländern folgen sie auch hier einer fundamentalistischen Auslegung des Islam. Was Ägyptens Salafisten jedoch besonders macht, ist ihr politischer Einfluss: In den ersten Parlamentswahlen gewann ihre größte politische Partei, die Nour-Partei, etwa 25 Prozent der Sitze. Damit ist sie die zweitstärkste politische Kraft nach der Partei der Muslimbrüder. Doch Mohamed El-Nour, der Parteisprecher, betont einen großen Unterschied: "Unsere Partei ist noch sehr jung und macht gerade ihre ersten Schritte. Sie ist ein Jahr alt und unsere internen Regeln sind noch nicht völlig klar und ausgereift."

Laute Diskussionen würde man in so einer jungen Partei also durchaus erwarten. Doch was in der Nour-Partei in den letzten beiden Wochen ablief, hat das Zeug zu einem Politthriller. Zuerst feuerte das Parteipräsidium den Parteivorsitzenden Emad Abdel Ghafour. Ghafour reagierte sofort und entmachtete seinerseits die von seinem Widersacher Yasser Borhami angeführte Gruppe im Präsidium. Wer danach das offizielle Sagen hatte, wusste lange niemand.

Eine Porträtaufnahme von El-Nour (Foto: Matthias Sailer)MohamedEl-Nour.jpg (Mohamed El-Nour; Cairo 6.10.12; Mögliche Bildunterschrift: Mohamed El-Nour ist einer von drei Sprechern der Nour-Partei)
Mohamed El-Nour ist einer von drei Sprechern der Nour-ParteiBild: Matthias Sailer

Politiker versus Prediger

Es sind zwei Lager innerhalb der erzkonservativen Salafisten, die sich bekriegen. Einerseits die eher pragmatische Fraktion um den Parteivorsitzenden Ghafour und andererseits die weniger kompromissbereiten Anhänger von Yasser Borhami. Mohamed El-Nour beschreibt sie al zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten: "Emad Abdel Ghafour ist ein eher ruhiger Typ, der weiß, wie man sich auf dem politischen Parkett bewegt. Scheich Borhami predigt in Moscheen. Bei beiden spiegelt sich das im Charakter."

Borhami fällt vor allem durch seinen offenen Radikalismus auf. Erst vor Kurzem machte er klar, dass der Islam es dem Ehemann erlauben würde, seine Frau unter bestimmten Bedingungen zu schlagen. Auf der anderen Seite steht der Parteivorsitzende Ghafour. Er ist im August gleichzeitig noch Berater von Präsident Mursi, einem Muslimbruder, geworden. Borhami lehnt eine enge Zusammenarbeit mit den Muslimbrüdern ab. Elijah Zarwan, Wissenschaftler am European Council on Foreign Relations, sieht diese unterschiedlichen Positionen in der gesamten Partei:

Mursi und Ghafour bei einer Pressekonferenz vor vielen Mikrofonen (Foto: dpa)
Ägyptens Präsident Mursi und der Salafistenchef Ghafour (re.)Bild: picture-alliance/dpa

"Viele Salafisten verstehen sich als zukünftige Wettbewerber mit den Rechten in der Bruderschaft. Andere erkennen eine Chance, um durch eine Zusammenarbeit mit den Muslimbrüdern gemeinsame Ziele umzusetzen." Doch die Muslimbrüder sind mit den Salafisten seit den letzten Parlamentswahlen zunehmend abweisend umgegangen. Deshalb dürften viele Salafisten Ghafours Nähe zur Bruderschaft skeptisch sehen.

Großer Einfluß der Mutterorganisation

Für den jetzigen Konflikt gibt es jedoch noch weitere Ursachen. Eine ist der Streit um die innerparteilichen Wahlen der Nour-Partei. Durch sie werden die meisten Ämter in der Partei vergeben. Weil einige Mitglieder aber Unregelmäßigkeiten anprangerten, wollte der Parteivorsitzende die Wahlen verschieben. Das Borhami-Lager widersetzte sich diesem Schritt. Mohamed El-Nour schließt Wahlbetrug nicht aus: "Enige Parteimitglieder sind der Meinung, der Wahlausschuss will, dass nur bestimmte Leute wählen."

Die zentrale Ursache der aktuellen Krise sieht der Parteisprecher jedoch im Verhältnis zwischen der Nour-Partei und ihrer ideologischen Mutterbewegung, der "Dawa Salafia". Die Dawa Salafia ist eine etwa 40 Jahre alte ursprünglich unpolitische Bewegung. Ihren Gelehrten ging es vor allem um die Erziehung der Gesellschaft nach erzkonservativen islamischen Werten. Doch die Bewegung versucht, die Nour-Partei nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen: "Viele Vorstandsmitglieder der Dawa Salafia sitzen auch im Präsidium der Nour-Partei. Sie beeinflussen alle Parteientscheidungen. Wir glauben, dass es besser wäre, wenn das nicht der Fall wäre", sagt El-Nour.

Geheimtreffen mit Mubarak-Vertrautem

Auch Yasser Borhami ist Islamgelehrter innerhalb dieser Bewegung und sitzt für sie im Präsidium der Nour-Partei. Zuletzt wurde bekannt, dass er während der Präsidentschaftswahlen an einem Geheimtreffen mit Mubaraks letztem Ministerpräsidenten, Ahmed Schafik, teilnahm. Die Partei wusste nichts von der Begegnung. Borhami wies später darauf hin, dass es sich um  ein Treffen der Dawa Salafia mit Schafik gehandelt hätte. Die Nour-Partei hätte daher nichts davon wissen müssen. Es sind solche Vorfälle, die zu großen Spannungen zwischen der Partei und der Dawa Salafia führen.

Eine Gruppe von Parlamentariern auf Sitzbänken (Foto: ASMAA WAGUIH/AFP/Getty Images)
Mitglieder der Nour-Partei im ParlamentBild: ASMAA WAGUIH/AFP/Getty Images

Inzwischen haben sich beide Lager darauf geeinigt, am 11. Oktober ein neues Präsidium und einen neuen Parteivorsitzenden zu wählen. Bis dahin bleibt Emad Abdel Ghafour im Amt.

Die Salafistenbewegung insgesamt schwächt der Konflikt jedoch nur wenig.  Elijah Zarwan vom European Council on Foreign Relations begründet dies mit den Gemeinsamkeiten der wachsenden Zahl salafistischer Parteien: "Wenn ein neues Parlament gewählt ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie sich in den meisten Abstimmungen miteinander absprechen werden. Es gibt wenige inhaltliche Themen, bei denen es ernsthafte Meinungsunterschiede gibt."