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Osteuropa-Experte: "Putin weiß, was er will - im Gegensatz zur EU"


Osteuropa-Experte im Interview
"Putin weiß, was er will - im Gegensatz zur EU"

Von t-online
Aktualisiert am 20.06.2014Lesedauer: 6 Min.
Russlands Präsident Wladimir PutinVergrößern des BildesPutin will eine Annäherung der Ukraine an die EU verhindern. Dafür tut er im Moment alles, sagt Osteuropa-Experte Stefan Meister im Interview (Quelle: Reuters-bilder)
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Die vergangenen Wochen waren geprägt von einem ewigen Auf und Ab in den Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine. Kaum gab es Zeichen für eine Entspannung, kamen wieder Rückschläge. Osteuropa-Experte Stefan Meister vom European Council on Foreign Relations über den neuen Präsidenten, die Versäumnisse der EU und Putins Plan. t-online.de sprach mit Meister kurz vor der erneuten Eskalation.

t-online.de: Der neue ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat Russlands Präsidenten Wladimir Putin Waffenruhe angekündigt und einen Friedensplan vorgestellt. Ist ein Ende der Krise in Sicht?

Stefan Meister: Definitiv nicht. Wir haben eher eine Ausweitung der Kämpfe – in den letzten Tagen und Wochen gab es mehr Tote als zuvor. Wir sehen aber, dass Russland und die Ukraine aufeinander zugehen. Offenbar erkennt Russland, dass es für es selbst immer schwieriger wird, wenn diese Regionen weiter destabilisiert werden, die an der Grenze zu Russland liegen. Und auf ukrainischer Seite sehen wir mit Poroschenko jemanden, der führungsstärker ist als der Übergangspräsident - jemanden, der dazu in der Lage ist, Pläne umzusetzen.

Das Kräfteverhältnis zwischen Putin und Poroschenko ist klar, aber der ukrainische Präsident greift sehr hart durch und ist in der Lage, dagegenzuhalten. Was kann er tun, um den Separatisten Einhalt zu gebieten?

Poroschenko hat eine Doppelstrategie: Einerseits zeigt er militärische Härte, andererseits bietet er den Separatisten Amnestie und Gespräche an, wenn sie bestimmte Bedingungen wie die Abgabe ihrer Waffen erfüllen. Wichtig ist es, Russland mit einzubeziehen, weil von dort die Waffen und die Kämpfer kommen. Hier muss die Grenze dicht gemacht werden. Solange Russland nicht kooperiert, wird es schwierig sein, diesen Konflikt zu befrieden.

Glauben Sie, dass Russland die Separatisten unterstützt oder sogar instruiert?

Davon bin ich überzeugt. Bei der Krim-Annexion hat Putin ja zugegeben, dass die Leute finanziert worden sind und dass Armeeangehörige und Sicherheitstruppen eingeflossen sind. Dafür gibt es ja auch Beweise. In der Bevölkerung gibt es dieses Bedürfnis nach mehr Unabhängigkeit von der Ukraine nicht. Die blutigen Kämpfe und die Ausrufung einer autonomen Republik hätte es nicht gegeben, wenn sie nicht von Russland initiiert worden wäre.

Ist denn Poroschenko auch für die EU ein guter Partner?

Er ist der beste Kompromisskandidat, den man im Moment in der Ukraine bekommen kann. Poroschenko ist natürlich Teil des alten Systems. Es wird also nicht zu einem Systemwechsel kommen, was Korruption, Vetternwirtschaft und die Unterstützung von bestimmten Oligarchen betrifft. Der neue Präsident ist Teil dieser Clique, aber er hat in der Ost-Ukraine eine gewisse Anerkennung. Zudem kann er westliche Sprachen und hat eine pro-europäische Reformeinstellung.

Am vergangenen Montag sind die Gasgespräche geplatzt. Woher bekommt die Ukraine nun ihr Gas?

Die Möglichkeiten, so kurzfristig Gas zu bekommen, sind begrenzt. Es gibt den „reverse flow“ aus EU-Ländern wie der Slowakei, Ungarn und Polen zurück in die Ukraine. Das ist meistens russisches Gas. Das gibt es seit zwei Jahren, aber das sind minimale Summen, die nicht ausreichen. Über die Slowakei könnten ab Ende des Jahres höhere Mengen fließen.

Im Moment sind die Lager in der Ukraine gut gefüllt, das Problem ist nicht akut. Aber letztlich muss eine Einigung mit Russland gefunden werden – vor dem Winter, sonst wird es Engpässe in der Ukraine geben. Sie hat einen Vertrag mit Russland und Schulden, sie muss einen Weg finden, das zu bezahlen.

Auch Russland ist ja abhängig von der Ukraine…..

…die ja schließlich Transitland ist. Schon 2009 hat die Ukraine Gas abgezweigt, das eigentlich für die EU bestimmt war. Russland befürchtet, dass es wieder zu Lieferunterbrechungen in Richtung EU kommen kann. Europa ist der wichtigste Markt für Gazprom, es gibt also einen gewissen Druck. Vor allem hat Gazprom Angst vor Prestigeverlust.

Anderseits ist es natürlich nicht umsonst, dass Russland gerade jetzt den Kredit zurückverlangt. Es ist ein politisches Spiel, um Druck auf die ukrainische Regierung auszuüben. Die Frage ist, ob ökonomische oder politische Gründe eher dominieren.

Ist denn die Versorgungslage in der EU gefährdet?

Kurzfristig nicht, denn es ist Sommer, das Gas fließt und die Speicher sind gefüllt. Die EU hat aus der Krise 2009 gelernt, als südliche Länder wie Bulgarien und Rumänien und der Balkan Engpässe hatten. Nun hat die EU Interkonnektoren gebaut, durch die die Länder beliefert werden können.

Mittlerweile haben wir auch die Ostsee-Pipeline, die Deutschland versorgt. Die wiederum ist angeschlossen an das zentraleuropäische Pipeline-Netz, das andere Mitgliedsländer versorgen kann. Es gibt also mehr Möglichkeiten. Wenn es aber langfristig zu einem Stopp kommt, gibt es Probleme.

Am 27. Juni will Poroschenko das Freihandelsabkommen mit der EU unterzeichnen. Wird das glattgehen?

Russland wird das nicht ohne Weiteres zulassen. Dieser ganze Konflikt, der ja schon im Sommer letzten Jahres bei dem Vilnius-Gipfel begonnen hat, ging ja um das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen. Viele Dinge, die wir jetzt schon erleben – der Gasstreit, die Ost-Ukraine – sollen dazu dienen, das zu behindern.

Russland kann ökonomischen Druck ausüben, es kann in der Ost-Ukraine sicherheitspolitischen Druck ausüben, es kann neue Handelsembargos für ukrainische Produkte erlassen – das ist alles nicht unwahrscheinlich.

Welche Ziele aber verfolgt Putin? Was ist sein Plan?

Putin lebt nicht in einer anderen Welt. Er hat eine Strategie und er weiß, was er will - im Gegensatz zur Europäischen Union.

Putins Ziel ist es, die Ukraine im Einflussbereich zu behalten und eine stärkere Integration mit der EU zu verhindern. Er will die Anerkennung durch die USA und die Europäische Union bekommen, dass die Ukraine nur eine begrenzte Souveränität hat und zum russischen Einflussbereich gehört.

Dies will er über eine Föderalisierung der Ukraine erreichen. Sein Ziel ist eine stärkere Autonomie für die östlichen Regionen, die er dann ökonomisch-politisch an Russland anbinden kann. Und er will die Unterschrift unter ein Assoziierungs- und Freihandelsabkommens mit der EU verhindern. Dafür tut er im Moment alles.

Die Krim-Annexion, und die Absicherung der Schwarzmeerflotte ist das eine, die Ost-Ukraine ist das andere. Hier geht es um eine Destabilisierung der ganzen Ukraine.

Wäre nicht eine Föderalisierung der Ukraine eine gute Lösung für das Land?

Es ist die Frage, was man darunter versteht. Über mehr Autonomie von Regionen wird in der Ukraine schon lange diskutiert. Und eine Dezentralisierung ist für diesen überzentralisierten Staat absolut sinnvoll, weil es ein großes Land mit vielen unterschiedlich entwickelten Regionen ist.

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Das, was Russland fördert, ist aber eine maximale Autonomie für Regionen, die dann außenpolitische Verträge abschließen können - vor allem mit Russland. Das erscheint mir nicht sinnvoll für die Ukraine, weil das ihre Souveränität unterminiert.

Was hat die EU falsch gemacht?

Die EU konnte sich nicht entscheiden, was sie mit den Ländern der östlichen Nachbarschaft will. Will man sie ein bisschen integrieren, will man sie richtig integrieren, will man sie eigentlich raushalten? Man hat diese Abkommen entwickelt, ohne den Ländern richtig zu erklären, was sie bedeuten.

Man hat versucht, Verträge mit Eliten in diesen Ländern abzuschließen, die überhaupt kein Interesse an Modernisierung und der Umsetzung dieser Verträge haben. Janukowitsch etwa hat die EU gegen Russland ausgespielt.

All diese Bemühungen sind in einem geopolitisch völlig leeren Raum geschehen – man hat den Faktor Russland gar nicht beachtet. Wer die Ukraine integrieren will, der ruft Russland auf den Plan.

Statt sich auf die Eliten zu konzentrieren, hätte man die Gesellschaft viel stärker mit einbeziehen sollen. Diese hat Interesse an einer Modernisierung, an transparenteren Strukturen, an Reformen. Man hat sich die falschen Partner gesucht.

Zuletzt nochmal ein Blick in die Zukunft – wie geht es weiter?

In der Ost-Ukraine sind viele Menschen gestorben. Funktionierende staatliche Institutionen müssen wieder hergestellt werden, die Polizei, Sicherheitsorgane, die Armee, Verwaltungsstrukturen funktionieren nicht. Außerdem muss eine Versöhnung mit Teilen der Gesellschaft stattfinden. Das sind Prozesse, die länger dauern werden. Russland wird weiter versuchen zu destabilisieren.

Trotzdem glaube ich, dass die Ukraine im Moment wieder auf einem besseren Weg ist. Dass der Präsident das Richtige tut, dass man nach den Parlamentswahlen im Herbst wieder eine stabilere Regierung haben wird. Wir haben eine Zivilgesellschaft, die die Reformen unterstützt. Vieles hängt davon ab, wie Reformen durchgeführt werden, wie es der EU gelingt, das Land ökonomisch zu unterstützen. Die akute Krise wird uns dieses Jahr noch beschäftigen, alles andere noch mehrere Jahre.

Doch die Chancen sind da. Im Moment bin ich eher positiver als ich das noch vor einem Monat war.

Das Interview führte Christina Rath

Stefan Meister ist seit August 2013 Senior Policy Fellow im Wider Europe Programm des European Council on Foreign Relations (ECFR). Von Januar 2008 bis Juli 2013 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der DGAP. Er arbeitet zur russischen Innen-, Außen- und Energiepolitik, zu Russlands Politik gegenüber den postsowjetischen Staaten, zu den EU-Russland Beziehung, Ländern der Östlichen Partnerschaft sowie zur deutschen Russlandpolitik. Meister war mehrfach als Wahlbeobachter für die OSZE tätig und hat Lehrprojekte in Russland durchgeführt. Vor kurzem ist von ihm ein Sammelband zu Russlands Politik gegenüber den post-sowjetischen Staaten bei Nomos erschienen.

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