Deutschland zeigt Führungsstärke in der EU-Außenpolitik

Redaktion │ 17. Februar 2012



Mit der European Foreign Policy Scorecard 2012 misst der European Council on Foreign Relations (ECFR) zum zweiten Mal die Bilanz Europäischer Außenpolitik sowie die der 27 Mitgliedstaaten. Wie schon 2010 gab es im letzten Jahr keine Machtverschiebung nach Brüssel, sondern nach Berlin. Deutschland entwickelt sich zu einer „Geo-ökonomischen Macht“ und nutzt seine wirtschaftliche Stärke, um ökonomische Interessen zu erreichen - häufig auf Kosten politischer Ziele.

Die aktuelle ECFR -Studie bewertet die außenpolitische Bilanz der EU in 83 Politikbereichen entnommen aus sechs großen Themen – China, Russland, USA, Europäische Nachbarschaft, Naher Osten/ Nordafrika, Multilaterale Angelegenheiten.

Die Ziele europäischer Außenpolitik, ihre Ergebnisse sowie die Bewertung beruhen auf dem politischen Ermessen der ECFR Experten und Wissenschaftler unter Einbezug der Meinungen von Spezialisten aus Wirtschaft, Politik, Medien, Wissenschaft und des Non-Profit Bereichs. Die Ergebnisse betonen insbesondere den Einfluss der Eurokrise auf die außenpolitische Leistung, die internationale Rolle und die Machtverhältnisse in der EU:

  • Die Krise der Europäischen Union führte im Jahr 2011 zu einem ernstzunehmenden Verlust ihrer Soft Power. Wurde in der Scorecard 2010 noch konstatiert, dass Europa von der Krise abgelenkt wurde, so  wurde es im vergangenen Jahr substantiell durch sie geschwächt. Ein Beitritt zur EU oder der Wunsch anderer Staaten sich am europäischen Modell zu orientieren, ist nicht mehr so stark ausgeprägt wie im Jahr 2010.
  • Die Krise ist auch dafür verantwortlich, dass Europa nicht ausreichend auf den Arabischen Frühling reagiert hat – dem geopolitisch wichtigsten Ereignis in direkter Nachbarschaft zur EU seit dem Fall der Berliner Mauer.

In 30 Bereichen wurde außerdem die Rolle der EU-Mitgliedstaaten bewertet. Als Anführer (leader) wurden alle Staaten bezeichnet, die entweder konstruktiv die Initiative übernommen und sich somit besonders für europäische Interessen eingesetzt hatten oder aber mit gutem Beispiel vorangegangen waren. Bremser (slacker) waren hingegen Staaten, die die Entwicklung europäischer Politiken aufgrund nationaler Interessen behindert bzw. blockiert oder ein besonders schlechtes Beispiel gesetzt hatten. Übernahm ein Staat keine besondere Rolle, wurde er keiner Kategorie zugeordnet.

Berlin führt an…

Deutschland wurde als Anführer in 19 Politikbereichen eingeschätzt.

  • Deutschland ließ in der Vergangenheit öfters Frankreich und Großbritannien den Vortritt in Angelegenheiten europäischer Außenpolitik, die ECFR Scorecard 2011 klassifiziert nun erstmals Deutschland als Anführer in mehr Bereichen als jedes andere Mitgliedsland.

Insbesondere in den Themen Europäische Nachbarschaft und Multilaterale Angelegenheiten wurde Berlin als treibende Kraft bewertet.

Die Bundesrepublik unterstützte die Erweiterungspolitik der EU insofern, als dass Angela Merkel ein besseres Verhältnis zwischen Serbien und Kosovo zur Bedingung für Serbiens Kandidatenstatus erklärte. Deutschland förderte außerdem die Zusammenarbeit mit der Türkei in den regionalen Brandherden im Nahen Osten und Nordafrika. Angesichts der unklaren Beitrittslage und der schwierigen Beziehungen der Türkei mit Israel, Griechenland, Zypern und Frankreich unterstützte Deutschland damit klar die europäische Präferenz, weiterhin ein gutes Verhältnis zu Ankara zu bewahren.

Außerdem ging Deutschland als gutes Beispiel voran in Sachen Entwicklungshilfe. Trotz Eurokrise erhöhte die Regierung das Entwicklungshilfebudget. Auch in der Klimapolitik wird Deutschland als Anführer bezeichnet. In Durban war es der EU zum einen möglich eine Verlängerung des Kyoto Protokolls zu erreichen und zum anderen eine Zusage der Schwellenländer, einem verbindlichen Klimaschutzabkommen im Jahr 2015 zuzustimmen. Obwohl Durban häufig nicht als Erfolg bewertet wurde, konnte die EU Fortschritt erzielen, den man anfangs nicht für möglich hielt.

Die Studie bescheinigt Deutschland ebenfalls eine Anführerrolle in der europäischen Politik gegenüber Reformen in den Vereinten Nationen. Deutsches sowie europäisches Interesse ist es, das noch aus der Nachkriegszeit stammende Kräfteverhältnis im VN-Sicherheitsrat zu reformieren und repräsentativer zu gestalten.

… und bremst auch mal

In der Russland-Politik bewies sich Deutschland jedoch als Bremser. Weder bei den Energiebeziehungen zu Russland noch in der Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte stand Deutschland hinter europäischen Maßnahmen und Politiken. Auch die Zurückhaltung beim Libyen-Einsatz ist hinsichtlich der Beziehungen zu den USA sowie auf dem Themengebiet Nahost/Nordafrika ein Bereich, in dem Deutschland eigene nationale Interessen verfolgt hat und eine Einigkeit der EU unmöglich machte. In der europäischen China-Politik hielt sich Berlin weitgehend zurück.

Deutschland, die „Geo-ökonomische Macht“

Die Bundesrepublik übernahm im letzten Jahr häufiger die Führung in der europäischen Außenpolitik als jemals zuvor. Die Eurokrise fungierte als Katalysator. Nach Aussage der Scorecard werden außenpolitische Ziele vermehrt den Bedürfnissen der deutschen Exportindustrie angeglichen und sind damit häufiger wirtschaftlicher als politischer Natur. Das Verhalten der Bundesrepublik in der Eurokrise ist exemplarisch dafür, wie wirtschaftliches Gewicht genutzt werden kann, um ökonomische Interessen zu verteidigen. In den EU-Beziehungen zu Russland stellt Deutschland ebenfalls seine eigenen wirtschaftlichen Interessen über europäische Politikpräferenzen. Gleiches gilt für den Libyen-Krieg. Kurz nachdem Deutschland sich gegen eine militärische Intervention entschied, verkaufte es Panzer an Saudi-Arabien, das zuvor pro-demokratische Demonstrationen in Bahrain niedergeschlagen hatte.

 

Den kompletten Bericht der European Foreign Policy Scorecard 2012 finden Sie hier.

 

1 Kommentare

  1. Christopher Lehnert Says:

    Die deutsche Enthaltung zur UN Resolution 1973 im Libyen Krieg und deren Folgen

    Der Resolution 1973 des UN Sicherheitsrates zur Einsetzung einer Flugverbotszone im Mittelmeerraum und die anschließende Unterstützung der Rebellen gegen ihren ehemaligen Herrscher Muammar Al-Gadaffi sorgten in der International Gemeinschaft für viel Unruhe. Die Gründe für einen Eingriff waren zwar offensichtlich, dennoch gab es eine öffentliche Debatte, ob nicht auch ökonomische Aspekte eine Rolle spielten und ob der Eingriff gerechtfertigt war. Als Argument gegen eine Einmischung wurde von Resolutionsgegnern Artikel II der UN Charta angeführt, der ein Eingreifen in innere Angelegenheiten verbietet. Die damaligen Umstände genügten jedoch als Argument, um diesen Artikel als nicht ausschlaggebend zu deklarieren. Im Kontext dieser Debatte rief die Enthaltung Deutschlands viel internationale und nationale Kritik hervor. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Afghanistan erklärten die Deutschen ihre Zurückhaltung mit den unabsehbaren Konsequenzen und dem Ziel einen langen Krieg vermeiden zu wollen. Es erwies sich wieder einmal, dass bei militärischen Einsätzen die beschworene westliche Einheit stark auf die Probe gestellt wird.

    Fast ein Jahr nachdem sich die Resolution verabschiedet wurde und Libyen befreit, stellt sich der internationalen Gemeinschaft ein ähnliches Problem in Syrien. Zwar sind es diesmal nicht die Deutschen, die im Fokus sind, sondern China und Russland, die ihr Veto nutzen, aber dennoch zeigt sich auch hier wie uneins sich die Mächte sind.

    Völkerrechtlich ist die Frage auf Grund von Artikel II ähnlich heikel und fraglich, ob der Schutz von Journalisten und die Verletzung von Menschenrechten genügen, um eine Intervention in Nationale Souveränität zu rechtfertigen. Die Kenntnisse über die reale Lage in diesen Regionen sind weitestgehend sehr gering, was durch die momentane Berichterstattung unterstrichen wird. Zudem haben schon frühere Eingriffe in die politischen Verhältnisse des Nahen Ostens gezeigt, wie undurchsichtig die inneren Beziehungen für westliche Staaten sind. Als warnende Beispiele gelten gerade die Briten mit ihrer Besatzung Syriens, Jordaniens, Israels, Ägyptens und weiterer Teile des Nahen Ostens im 20. Jh. Ähnlich unglücklich agierten damals die US-Amerikaner im Irak, wo sie Minderheiten unterstützten, die später zu politischen Kräften wurden, die dann wiederum im 21. Jh. bekämpft werden mussten.

    Die Kenntnisse der Geschichte sollten die Bundesregierung bestärken, den Weg weiter zu gehen, den sie eingeschlagen hat. Dieser wird im kürzlich erschienenen Programm zum Umgang mit neuen Mächten beschrieben. Die Bundesregierung setzt auf stärkere Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen, wie der Arabischen Liga. Deren Vorgehen und Beschlüsse, unter anderem durch ökonomische Sanktionen Syrien zu isolieren, zeigen, dass Resolutionen und Interventionen nicht der einzige Weg sind.

    Deutschland sollte sich diesen Bündnissen stärker widmen, indem sie die Partner wo es geht in ihren Beschlüssen für eine friedliche Lösung unterstützt. Diese Form demokratischen Zusammenlebens auf Grundlage der Achtung von Menschenrechten kann eher zu einer Transformation der Autokratien führen, als die Durchsetzung von Menschenrechten per Intervention.






Außenpolitik für alle!

Die Atlantische Initiative will einen Beitrag zur Stärkung der außenpolitischen Kultur in Deutschland leisten. Mitgestaltung außenpolitischer Prozesse muss für alle möglich sein. Dafür ist es wichtig, alle Teilbereiche der Gesellschaft besser zu vernetzen. Besonders liegt uns die Förderung von Partizipationsmöglichkeiten für die junge Generation am Herzen. Um unser Motto mit Leben zu füllen, haben wir eine Reihe von Projekten entwickelt. Wir freuen uns auf Ihre Beteiligung.

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