Transparenz
Mit Christa Markwalder auf die Toilette?

Es lohnt sich, zu fragen, wer Transparenz verlangt. Auch Transparenz braucht Transparenz. Der Wochenkommentar zur Lobbying-Affäre um Christa Markwalder.

Gieri Cavelty
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FDP-Nationalrätin Christa Markwalder in der Sondersession am 6. Mai. An dem Tag berichtete die "NZZ", wie die Kasachstan-Interpellation zustande kam

FDP-Nationalrätin Christa Markwalder in der Sondersession am 6. Mai. An dem Tag berichtete die "NZZ", wie die Kasachstan-Interpellation zustande kam

KEYSTONE/LUKAS LEHMANN

Einer der lesenswertesten Romane jüngeren Datums ist «Der Circle» des Amerikaners Dave Eggers. Darin hängt sich ein Politiker nach dem anderen eine Minikamera um den Hals, fortan kann die Öffentlichkeit deren Alltag per Livestream mitverfolgen. Heimlichtuerei, Korruption, Skandale gehören mit einem Mal der Vergangenheit an!

«Transparenz» lautet das Gebot der Stunde – im Roman wie im Politalltag. Seit der Kasachstan-Affäre um Nationalrätin Christa Markwalder vergeht kein Tag, da nicht ein Politiker mehr Transparenz fordert und verspricht. Gut so! Es kann gar nicht genug über Interessenverflechtungen informiert werden, und Machtmissbrauch gehört sanktioniert. Allerdings ist der blosse Ruf nach Transparenz noch keine politische Tugend. Und: «Transparenz» kann schillern.

Eine der prominentesten Vorkämpfer für Transparenz in Wirtschaft und Politik ist Transparency International. Die Verdienste dieser Nichtregierungsorganisation dürfen nicht negiert werden. Ebenfalls wahr ist aber, dass der renommierte Politologe Ivan Krastev in Transparency ein Vehikel grosser US-Konzerne erkennt, die auf ihrem Expansionskurs in ferne Länder die lokale Konkurrenz aus dem Feld schlagen wollen.

Transparency solle dafür sorgen, dass auf der ganzen Welt amerikanische Standards gelten. Krastev verweist darauf, dass es sich beim Gründer von Transparency um einen früheren Direktor der Weltbank handelt und dass US-Multis die NGO sponsern. Das ist legitim, macht indes deutlich: Es lohnt sich immer zu fragen, wer Transparenz verlangt. Auch Transparenz braucht Transparenz.

In seinem 2014 publizierten Buch «Geschichte der Korruption» geht der Historiker Jens Ivo Engels noch weiter. Er erinnert daran, dass sich die autoritären Bewegungen des 20. Jahrhunderts den Kampf gegen Korruption und Klüngelei auf die Fahnen geschrieben hatten. Solche Argumente halfen mit, die Diktatur in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zur dominanten Herrschaftsform in Europa zu machen. In Tat und Wahrheit brachten diese Regime freilich nur Unrecht und Leid hervor – plus ein Maximum an Filz.

Trau, schau, wem?

Für Schweizer Verhältnisse interessant ist ein anderer Aspekt: Es ist heute ja mitnichten so, dass wir Stimmbürger im Internet-Zeitalter einfach bloss im Dunkeln tappen müssen. Ohne Mühe findet sich auf der Website der Bundesversammlung eine Liste mit Interessenbindungen der Parlamentarier. Demnach vertritt der durchschnittliche Nationalrat offiziell die Interessen von 7,5 Organisationen; 10,7 sind es beim Ständerat. Etwas Surfen im Netz bringt überdies zu Tage, dass an den Schalthebeln der Bundesverwaltung Leute sitzen, die früher als Lobbyisten tätig waren.

Einer der beiden Vize-Kanzler des Bundes etwa weibelte für eine Versicherung, die Leiterin der Abteilung Politische Rechte in der Bundeskanzlei machte guten Wind für die Tabakindustrie. Offensichtliche Verflechtungen mit Lobby-Agenturen auch bei den Parteien: Ex-CVP-Generalsekretär Tim Frey arbeitet jetzt für Burson-Marsteller, der heutige SVP-Sekretär Martin Baltisser stand einst im Sold des Konkurrenz-Büros Farner. Und FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen ist – das hat der «Tages-Anzeiger» transparent gemacht – liiert mit einer Beraterin von Burson-Marsteller. Dieser gewährt er auch Zugang zum Bundeshaus.

Wie die Fliege am Fenster

Was nützt uns diese Transparenz? Ein Pessimist würde sagen: nichts. Er fände sogar ein passendes Zitat von Friedrich Nietzsche: «Weil etwas für uns durchsichtig geworden ist, meinen wir, es könne uns keinen Widerstand mehr leisten – und sind dann erstaunt, dass wir hindurchsehen und doch nicht hindurch können! Es ist dies das selbe Erstaunen, in welches die Fliege vor jedem Glasfenster gerät.» In seinem Buch «Transparenztraum» münzt der Literaturwissenschaftler Manfred Schneider die Nietzsche-Sentenz auf die heutige Politik. Er schreibt: «Transparenz kann immer nur in Aussicht gestellt werden. Transparenz hier und jetzt gibt es nicht.»

Die Sache lässt sich allerdings auch weniger negativ sehen. Zunächst muss man vermutlich eingestehen, was der weiter oben erwähnte Historiker Jens Ivo Engels in seiner «Geschichte der Korruption» so formuliert: «Viel spricht dafür, dass weder heute noch in Zukunft grosse Politik ohne persönliche Netzwerke, Vorteilsgewährung und Patronage gemacht werden kann.» Das heisst aber keineswegs, dass man diese Cliquen als Journalist nicht ausleuchten und als Stimmbürger nicht kennen soll. Im Gegenteil! Auch muss die politische Öffentlichkeit stets von Neuem darüber diskutieren, wieviel Seilschaft erträglich ist und wann die Grenzen des Zulässigen überschritten wurden. Man darf gespannt sein, wie diese Debatte im Fall von Christa Markwalder endet: Wenn es um die Frage geht, ob die Bernerin fürs Amt der Nationalratspräsidentin 2016 kandidieren darf.

Und wenn man unseren Politiker eben doch Kameras anlegt wie in Dave Eggers’ Roman «Der Circle»? Leider lassen sich die Heimlichkeiten nicht einmal aus der schönen neuen Welt des Politiker-Livestreams schaffen. Auf der Toilette nämlich dürfen Eggers’ Romanfiguren ihre Kamera abschalten. Und natürlich geschehen all die verbotenen Dinge fortan genau hier, auf dem stillen Örtchen. Bis aufs WC mag man unsere Politiker aber auf jeden Fall nicht begleiten.