Behörden überfordert – wo bleibt die EU?

Aktualisiert

Experten-InterviewBehörden überfordert – wo bleibt die EU?

Tausende Flüchtlinge sind auf Kos gestrandet. Die Behörden sind überfordert, die Situation eskaliert. Ein EU-Experte erklärt, wieso Brüssel nicht einschreitet.

C. Freigang
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C. Freigang

Jeden Tag kommen Hunderte weitere Flüchtlinge auf der griechischen Ferieninsel Kos an. Tausende warten unter miserablen Bedingungen darauf, Papiere zu erhalten, um weiterreisen zu können. Die griechischen Behörden sind mit dem Ansturm von Migranten völlig überfordert – der Ruf nach einem Eingreifen der EU wird lauter.

Herr Janning, auf Kos herrscht das absolute Chaos. Wo ist die EU, wenn man sie braucht?

Derzeit unterstützt die EU Griechenland mit Geldern, daneben sorgt Frontex im Mittelmeerraum für den Grenzzschutz, um den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Weitere Hilfe bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms wäre möglich, doch dagegen sträubt sich Griechenland bislang.

Warum?

Das ist eine Statusfrage: Hilfe von der EU anzufordern, würde zeigen, dass Griechenland die Situation nicht im Griff hat. Das will die Regierung in Athen nicht. Zudem ist es eine Frage der Souveränität: Weitere Unterstützung durch die EU deuten die Griechen als Einmischung in griechische Angelegenheiten und als Verlust von Selbstverantwortung. Damit haben die Griechen Mühe.

Wie könnte die EU Griechenland denn weiterhelfen?

Es gibt drei Möglichkeiten: Kurzfristig könnte Griechenland Gelder für humanitäre und Katastrophenhilfe von der EU oder sogar bilateral von einzelnen EU-Staaten anfordern. Das hat die Regierung bislang nicht getan. Mittelfristig könnten die Innenminister der EU-Staaten gemeinsame Instrumente beschliessen: Eskaliert die Situation – wie etwa auf Kos derzeit – würden automatisch EU-Institutionen eingreifen und mit Personal und Infrastruktur vor Ort helfen. Langfristig wäre ein gemeinsames Asyl- und Einwanderungsgesetz sinnvoll: Damit wäre dann eine EU-Instanz für alle ankommenden Flüchtlinge zuständig, nicht die Behörden der Ankunftsländer. Damit würde man auch Länder wie Griechenland und Italien finanziell entlasten.

Warum wehren sich viele EU-Länder gegen diesen gemeinsamen Grenzschutz?

Einige befürchten, eine Quote für die Verteilung von Flüchtlingen auferlegt zu bekommen. Andere, wie etwa die Griechen, wollen die Souveränität ihrer eigenen Grenzpolizei nicht aufgeben. Griechenland möchte am liebsten finanzielle Unterstützung von der EU, will aber keine technische Hilfe annehmen.

Was kann die EU denn jetzt überhaupt tun?

Relativ wenig, solange die Griechen keine weitere Hilfe anfordern. Die humanitären Programme der EU können nicht gegen den Willen eines Mitgliedstaats eingesetzt werden. Die EU sollte den Druck auf Griechenland aber erhöhen, sich helfen zu lassen. Denn das Flüchtlingsproblem ist ein europäisches und die EU muss jetzt einschreiten.

Inwiefern?

Kommen die griechischen Behörden – wie etwa auf Kos – nicht hinterher, den Menschen Papiere auszustellen, reisen diese unregistriert weiter in andere EU-Länder, viele nach Deutschland oder Dänemark. Ausserdem ist die katastrophale Situation für viele Flüchtlinge – wie etwa gerade auf Kos – nicht mit den Werten der Europäer zu vereinbaren.

Josef Janning ist Experte für internationale Beziehungen mit Augenmerk auf Europa, EU-Aussen- und Innenpolitik sowie deutsche Aussen- und Sicherheitspolitik. Er arbeitet für den European Council on Foreign Relations, einen paneuropäischen Think Tank.

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