«Der Stinkefinger aus dem Archiv war unnötig»

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Varoufakis bei Jauch«Der Stinkefinger aus dem Archiv war unnötig»

Nach dem Eklat um Varoufakis' Mittelfinger stellt sich die Frage, wie es um die Beziehung zwischen Berlin und Athen steht. EU-Experte Josef Janning antwortet.

Katrin Moser
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Katrin Moser

Der Auftritt des griechischen Finanzministers Gianni Varoufakis in Günther Jauchs Talkshow auf ARD hätte eigentlich zu einem tieferen Einblick in die griechische Schuldenkrise verhelfen sollen. Stattdessen führte der erhobene Mittelfinger des Ministers zu einem Eklat. Können Deutschland und Griechenland noch sachlich miteinander reden? – 20 Minuten fragte den EU-Experten Josef Janning.

Herr Janning, haben die ARD und Günther Jauch unnötig provoziert, indem Varoufakis' Aussagen und Gesten aus dem Jahr 2013 aus dem Zusammenhang gerissen wurden?

Ich glaube ja. Es geht darum, Quote zu machen. Doch solche Einspielungen helfen nicht dabei, das Thema zu vertiefen. Dabei gäbe es in all den Verhandlungsprozessen seit der Übernahme der neuen Regierung in Athen so viel Stoff, dass man es eigentlich nicht nötig hätte, auf einen Stinkefinger aus dem Archiv zurückzugreifen.

Trotzdem: Hat Varoufakis gelogen, als er das Video als Fälschung bezeichnete?

Diese Frage ist irrelevant. Die ganze Geschichte ist Kinderkram – darauf kommts überhaupt nicht an.

Worauf kommts denn an?

Der Punkt ist, dass Varoufakis und die Syriza-Regierung jetzt handeln müssen. Den Worten müssen endlich Taten folgen. Nicht nur, indem dem kleinen Mann Vergünstigungen eingeräumt werden, sondern indem man die grossen Fische konsequent verfolgt.

Man hat den Eindruck, dass das Verhältnis Berlin-Athen mittlerweile völlig emotional ist. Stimmen Sie dem zu? Woher kommt das?

Ja, dem stimme ich zu. Das kommt zu einem grossen Teil von den Medien. Aber nicht nur. Auch einige deutsche Politiker setzen bei dem Thema auf die emotionale Schiene. Das ist aber nicht die Haltung der Bundesregierung.

Wie sieht die aus?

Diesbezüglich kann man sich sehr gut an Schäuble orientieren. Der lässt zwar auch ab und zu Ironie einfliessen, äussert sich aber eigentlich durchgehend sachlich zu dem Thema. Die deutsche Regierung will keine Eskalation, sie will Griechenland in der EU behalten. Berlin ist durchaus zu Zugeständnissen gegenüber Athen bereit, etwa in Bezug auf Subventionen für die Armen.

Was verlangt Deutschland im Gegenzug?

Berlin will die Radikalität von Syriza sehen. Griechenland muss endlich Reformen einleiten. Damit meine ich typische Syriza-Themen wie Steuergerechtigkeit und Korruptionsbekämpfung. Je länger der kleine Mann in Griechenland sieht, dass die Reichen nicht zur Kasse gebeten werden, desto weniger ist er selbst bereit, seinen Verpflichtungen gegenüber dem Staat nachzukommen. Viele Griechen haben mittlerweile die Steuerzahlungen eingestellt, das Land hat deswegen zusätzlich Einbussen zu beklagen.

Worauf wartet Syriza?

Ich habe das Gefühl, dass die neue Regierung die Komplexität der Situation unterschätzt hat. Dass sie kein Programm für die ersten hundert Tage vorbereitet hat. Ich glaube fast, dass die Syriza-Regierung an ihre eigenen Wahlkampfparolen glaubt.

Wie meinen Sie das?

Die neue griechische Regierung setzte bisher die ganze Energie auf einen Kampf gegen die Troika, statt dass sie sich hier auf lösungsorientierte Verhandlungen konzentriert hätte. Gleichzeitig lässt sie im Inland wie gesagt jede Konsequenz bezüglich Steuergerechtigkeit und Korruptionsbekämpfung vermissen. Und während Syriza in Europa erfolglos pokert, holen die Griechen ihr Geld von den Banken. Mit dem Resultat, dass diese noch mehr von der europäischen Zentralbank abhängig werden.

Varoufakis' Auftritt von 2013. Der Stinkefinger erscheint nach 40 Minuten:

(Quelle: YouTube/SkriptaTV)

Josef Janning ist Experte für internationale Beziehungen mit Augenmerk auf Europa, EU-Aussen- und Innenpolitik sowie deutsche Aussen- und Sicherheitspolitik. Er arbeitet für den European Council on Foreign Relations, einem paneuropäischen Think Tank.

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