Die Schotten haben Blut geleckt

Publiziert

Nach dem ReferendumDie Schotten haben Blut geleckt

Eine Rekordzahl von 85 Prozent der Schotten haben sich am Unabhängigkeitsreferendum beteiligt. Die Abstimmung hat trotz Niederlage eine lebhafte politische Kultur erschaffen.

cfr
von
cfr

Obwohl nur knapp 45 Prozent der Wähler für die staatliche Eigenständigkeit stimmten, nannte der schottische Regierungschef Alex Salmond, der die Unabhängigkeitsbewegung anführte, die Abstimmung einen «Triumph für den demokratischen Prozess».

Das Referendum hatte so viele Menschen für den politischen Prozess mobilisiert, wie es sonst in westlichen Demokratien selten geworden ist, schreibt die «Frankfurter Allgemeine Zeitung».

«Jetzt geht es erst richtig los»

Auch Unabhängigkeitsbefürworter Lucas McGregor von der Nationalpartei in Edinburgh blickt nach vorn: «Wir haben eine Bewegung angestossen, das geht jetzt erst richtig los.» Die vielen politischen Debatten hätten dem Land gut getan. «Ich habe mich meinen Landsleuten noch nie so nah gefühlt. Ganz egal, wie sie abgestimmt haben.»

Vor allem hätten sich Leute beteiligt, die sich sonst nie für Politik interessiert hätten, sagt Jan Eichhorn von der Universität Edinburgh zum «Deutschlandfunk». Dies habe viel Potenzial für demokratische Erneuerung entfacht.

«Politisches Momentum nutzen»

Wird diese Euphorie nur von kurzer Dauer sein? Nein, sagt Josef Janning vom European Council on Foreign Relations gegenüber 20 Minuten. Schottland werde das losgetretene politische Momentum nutzen, um die von der britischen Zentralregierung gemachten Zugeständnisse einzufordern. Die Regierung David Cameron hatte zuletzt Zusagen in Form einer kontrollierten Dezentralisierung gemacht, um eine Abspaltung der Schotten zu verhindern.

«Es geht um die Rohstoffe»

Was genau eine solche Dezentralisierung beinhaltet, ist nicht klar. Während die Schotten durch die Abstimmung Aufwind erhalten haben, versucht die Zentralregierung in London das Tempo einer Dezentralisierungsbewegung zu drücken und sich vage auszudrücken. «Die britische Regierung hält sich bewusst zurück, detaillierte Zugeständnisse zu formulieren», sagt Janning. Klar ausformulierte Angebote der Regierung könnten nämlich dazu führen, dass die Schotten diese als gegeben erachten und noch einen drauflegen würden, so Janning.

Primär gehe es im Tauziehen mit Westminster um die Verteilung der Steuereinnahmen aus Rohstoffen in Schottland, erklärt Janning. Konkret: aus Ölerträgen. Um diese Einnahmen durch eine Dezentralisierung des Steuersystems nicht zu verlieren, werde die Cameron-Regierung versuchen, andere Optionen auszuschöpfen, etwa im Sozialbereich.

Neues Referendum ist möglich

Premier Cameron sagte nach Bekanntwerden der Abstimmungsergebnisse, die Abspaltungsdebatte sei für eine Generation abgehakt. Ist dies also wirklich das Ende des Separatismus-Geistes, der sich in den letzten zwei Jahren in Schottland entfaltet hat?

Das kommt darauf an, wie sich die Zentralregierung in London verhält, sagt Janning. «Sind die Zugeständnisse aus schottischer Sicht nicht befriedigend, wäre dies Anlass und Ausgangspunkt für eine neue Kampagne. Das könnte dann auch schon in fünf bis zehn Jahren sein.»

Konkret könnten die EU-freundlichen Schotten das Referendum über einen Austritt aus der Union im Jahr 2017 zum Anlass nehmen, erneut über eine Unabhängigkeit von Grossbritannien abzustimmen. Sie könnten sich fragen: «Was wollen wir in einem Land, das uns aus der EU herausnehmen will?»

Westminster sollte sich demnach in Acht nehmen. Denn die Schotten scheinen die Lust am Politisieren wieder entdeckt zu haben. Und ob die Separatisten nun jede Hoffnung auf Unabhängigkeit aufgegeben haben, wird sich zeigen.

Deine Meinung