Warum tut sich die EU das an?

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Abkommen mit der UkraineWarum tut sich die EU das an?

Es löste den Ukraine-Konflikt aus: Das Assoziierungs-Abkommen zwischen der EU und der Ukraine. Jetzt haben es beide Parlamente ratifiziert. Fragt sich, was Europa noch davon hat.

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Vor wenigen Tagen ging ein lange gehegter Wunsch der Ukraine in Erfüllung: die Anbindung an die EU. Am 16. September ratifizierten die Parlamente der EU und der Ukraine das bilaterale Assoziierungsabkommen (siehe Infobox). Damit eröffnen sich neue wirtschaftliche Chancen für das Land. Aber was hat die EU von diesem Vertrag ausser Ärger mit Russland und engere Beziehungen mit einem hoch verschuldeten Land? 20 Minuten fragte EU-Experte Josef Janning.

Herr Janning, warum tut sich die EU das an?

Die EU will eigentlich nicht, sie muss. Die Weigerung des damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch das Abkommen zu unterschreiben, stand am Anfang des Ukraine-Konflikts. Wenn die EU das Angebot jetzt zurückgezogen hätte, würde das von allen Seiten als Kniefall vor Russland interpretiert werden.

Jetzt interpretiert Russland das Abkommen als Provokation.

Die EU riskiert, Öl ins Feuer zu giessen, das stimmt. Anderseits hat sie auch ein Interesse, den westlichen Werten und damit ihren eigenen Grundlinien treu zu bleiben. Offenbar wertet sie das höher ein, als das Risiko, Russland zu verärgern.

Die Ukraine näher an sich zu binden, kostet die EU ein Heidengeld. Sie lieh dem Land bereits 1,6 Milliarden Euro.

Die Soforthilfe hätte die EU so oder so bezahlt. Doch ohne dieses Abkommen wäre sie möglicherweise genötigt gewesen, noch mehr Geld in die Ukraine zu investieren. Denn die Markterleichterungen, die im Abkommen für die Ukraine festgehalten werden, bringen dem Land viel: Für die Ukraine öffnet sich ein riesiger Absatzmarkt und damit Zukunftschancen.

Und was hat die EU davon?

Sie erhält die Aussicht, dass infolge eines Modernisierungsimpulses für die ukrainische Wirtschaft dort gleichzeitig mehr politische Stabilität und damit Sicherheit entsteht. Damit verbessern sich auch die Perspektiven auf einen Marktzugang für EU-Unternehmen.

Entspricht das Abkommen noch der Version vom November 2013?

Im Grossen und Ganzen ja. Ausgenommen die Vereinbarungen über die Handelsbeziehungen, bei denen man eine asymmetrische Dehnung der Öffnungsklausel eingeführt hat. Das heisst, die Ukraine erhält ab Inkrafttreten des Vertrags den erleichterten Zugang zum EU-Markt, die EU ihrerseits muss damit aber noch warten. Das ist eine Konzession, mit der man für die Ukraine und Russland Druck herausnehmen wollte.

Warum hat man so lange mit der Unterzeichnung des Abkkommens gewartet?

Die EU hat gezögert, weil unklar war, ob die Interimsregierung nach der Absetzung Janukowitschs ein legitimes Mandat hat. Nach der Wahl von Petro Poroschenko zum Präsidenten der Ukraine war wiederum erst mal nicht klar, ob er das Land wirklich lenken kann. Poroschenkos Angebot einer erweiterten Autonomie für die Ostukraine lässt die Hoffnung zu, dass er das Land zusammenhalten kann. Deshalb wurde das Abkommen jetzt unterzeichnet.

Warum hat man dann nicht auch gleich die Parlamentswahlen vom Oktober abgewartet?

Das aktuelle ukrainische Parlament hat keine Legitimation, das ist richtig. Auf die Parlamentswahl zu warten, hätte sich für die EU allerdings leicht als Fehler herausstellen können. Denn es ist unklar, ob die Wahlen in einer stabilen Situation stattfinden werden, ob die Separatisten einen Wahlboykott durchsetzen können. Und niemand kann sagen, ob das neue Parlament eine einheitliche Linie gegenüber der EU aufweisen wird.

Die Pläne der EU:

Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Dabei handelt es sich um ein Vertragswerk der EU, das zugleich Teil ihrer Erweiterungsstrategie ist. Zentrum des Vertrags ist ein umfassendes Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine. Es muss von der Ukraine und allen 28 EU-Mitgliedstaaten ratifizert werden. Das dürfte einige Jahre dauern. Die Handelsbestimmungen sollen später als geplant - ab Ende 2015 - provisorisch in Kraft treten.

Am 21. November 2013 verweigerte der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch die Unterschrift unter das Vertragswerk. Dies war der Auslöser der landesweite Proteste, die am 22. Feburar 2014 zum Sturz Janukowitschs und in der Folge zum Ukraine-Konflikt mit Russland führten.

Russlands Pläne:

Eurasische Wirtschaftsunion. Dabei handelt es sich um einen Vertragswerk zwischen Russland, Kasachstan und Weissrussland, mit welchem ein gemeinsamer Markt geregelt werden soll. Vorbild ist die EU. Falls es ratifiziert wird, tritt es am 1. Januar 2015 in Kraft. Als gewünschte Beitrittskandidaten gelten (ausser den baltischen Staaten) alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion also auch die Ukraine.

Die Ukraine beantragte im August 2013 Beobachterstatus in der Eurasischen Union, gleichzeitig plante die ukrainische Regierung die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU. Am 21. November 2013 verweigerte Janukowitsch die Unterzeichung überraschend.

Russlands Problem:

Russland wollte die Ukraine in die Eurasische Wirtschaftsunion holen. Das geht nach der Unterzeichnung des Assozierungsabkommens nicht mehr. Zudem befürchtet Russland, dass wegen dieses Vertrags der russische Markt mit EU-Waren überschwemmt wird. Deshalb drohte der Kreml mit Zöllen auf alle ukrainischen Produkte, falls das Assoziierungsabkommen mit der EU am 1. November 2015 in Kraft tritt. Beobachter vermuten, dass Russland zudem befürchtet, dass die EU Zugang zu der Rüstungs- und Raumfahrtindustrie in der Ukraine erhält. Diese Industrien sind für Russland sehr wichtig. (Quellen: Wikipedia)

Josef Janning ist Experte für internationale Beziehungen mit Augenmerk auf Europa, EU-Aussen- und Innenpolitik sowie deutsche Aussen- und Sicherheitspolitik. Er arbeitet für den European Council on Foreign Relations, einem paneuropäischen Think Tank.

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