Machen nun alle Balkanländer dicht?

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FlüchtlingskriseMachen nun alle Balkanländer dicht?

Mit Österreich begrenzt das nächste EU-Land die Einreise für Migranten. Die Folgen sind absehbar – auch für die Schweiz.

K. Moser
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K. Moser

Als Ungarn im September 2015 die Grenzen für Flüchtlinge schloss, ging ein Aufschrei durch Europa. Deutlich leiser war die Kritik, als Dänemark, Schweden und Norwegen die Grenzübertritte einschränkten. Jetzt will Österreich die Zahl von Asylsuchenden auf 37'500 pro Jahr begrenzen – und erfährt weit herum Verständnis für den Entscheid.

Dabei ist dieser Schritt mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention eigentlich gar nicht zu vereinbaren. Demnach hat jeder Mensch das Recht, in einem anderen Land Asyl zu beantragen, wenn er sich in seiner Heimat bedroht fühlt. Laut der Migrationsexpertin Angeliki Dimitriadi gibt es daher nur eine Möglichkeit, legale Obergrenzen einzuführen: «Es braucht gleichzeitig eine EU-weite Verteilquote für Asylbewerber.» Eine Massnahme, auf die sich die Mitgliedsstaaten bis heute nicht einigen konnten.

Noch ist unklar, wie Österreich seine Obergrenze von 37'500 Asylsuchenden im Jahr 2016 umsetzen will: Werden nur noch Menschen ins Land gelassen, die ihr Asylgesuch in Österreich stellen wollen – ungeachtet ihres Herkunftslandes? Oder dürfen nur noch Menschen einer bestimmten Nationalität einreisen – bis die Obergrenze erreicht ist?

Klar ist, dass der Entscheid weitreichende Folgen hat. Die Absichtserklärung Österreichs zeige, dass es mehr denn je eine gemeinsame europäische Asylpolitik brauche, heisst es vom Staatssekretariat für Migration SEM. Und weiter: «Unkoordinierte nationale Antworten lösen das Problem nicht, sondern lösen oft negative Kettenreaktionen aus.»

Hier die wichtigsten Folgen im Überblick.

Dominoeffekt

Wenn die Migranten nicht mehr nach Österreich weiterreisen können, werden Slowenien, Mazedonien und Serbien ihre Grenzen ebenfalls – zumindest teilweise – schliessen. Diese Entwicklung hat bereits begonnen: In der Nacht auf Donnerstag schloss Mazedonien den Grenzübergang Gevgelija/Idomeni. «Es ist sehr wahrscheinlich, dass dies eine Reaktion auf den Beschluss Österreichs war», sagt Migrationsexpertin Dimitriadi. Seit heute Vormittag dürfen Syrer, Afghanen und Iraker wieder ins Land – falls sie beweisen können, dass sie nach Deutschland oder Österreich reisen wollen.

Zunehmende Not

Mit einer Behinderung der Grenzübertritte zu Österreich geht ein Rückstau einher. Die Flüchtlinge sitzen in Griechenland, Mazedonien, Serbien und Slowenien fest – und das mitten im Winter.

Alternative Routen

Dass Grenzschliessungen Flüchtlinge nicht aufhalten, ist hinlänglich bekannt. Sie weichen auf andere Routen aus. Nach dem Entscheid Österreichs dürften die Bulgarien-Route, die Griechenland-Italien-Route oder die Russland-Route an Attraktivität gewinnen.

Schweiz

Die Route via Italien legt nahe, dass Flüchtlinge vermehrt in die Schweiz reisen. Verteidigungsminister Guy Parmelin ist überzeugt, dass die Schweiz betroffen sein wird. Wie genau, sei unklar.

Schmuggler

Neue Routen bedeuten auch immer, dass die Flüchtlinge wieder vermehrt auf Schmugglerdienste angewiesen sind, so Expertin Dimitriadi.

Schengen

Die im September vereinbarten Beschlüsse wurden nicht umgesetzt: Eine faire Umverteilung von Asylsuchenden ist in weiter Ferne, die Hotspots sind – ausser in Italien – nicht in Betrieb. Dabei steht viel auf dem Spiel, so Dimitriadi: «Wenn die Türkei bis Mitte Februar die Anzahl der Richtung EU reisenden Flüchtlinge nicht drastisch reduziert und die EU ihr Haus nicht in Ordnung bringt, dann ist es sehr gut möglich, dass Schengen kollabiert.»

Angeliki Dimitriadi ist Expertin für Migration und Asyl beim Thinktank European Council on Foreign Relations.

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