Die neue europäische Unordnung

Sanktionen gegen Russland stellen keine langfristige Lösung dar. Europa muss Lösungen finden, mit seinem „herausfordenden“ Nachbarn zu koexistieren

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Der neue ECFR-Essay “Die neue europäische Un-Ordnung” von Ivan Krastev und Mark Leonard konstatiert, dass der Konflikt in der Ukraine die europäische Ordnung nach 1989 zerrüttet hat. Trotzdem bedeutet dies nicht eine Rückkehr zum Kalten Krieg. Europa sollte viel mehr realisieren, dass wir nach dem Krim-Konflikt ein Modell der Koexistenz benötigen, welches uns eine realistische Chance bietet, eine neue Beziehung zu Russland aufbauen, und zwar bevorzugt über die Eurasische Wirtschaftsunion. Der wirtschaftliche Wettbewerb mit Moskau ist einer militärischen Auseinandersetzung eindeutig vorzuziehen.

Europa muss sich eingestehen, dass es das postsowjetische Russland nicht verstanden hat. Stattdessen muss die EU mit ihrem starken Nachbar koexistieren, möglicherweise durch die Kooperation mit Russlands eigenem Integrationsprojekt, der Eurasischen Wirtschaftsunion (Russland, Kasachstan, Belarus und zukünftig wahrscheinlich auch Armenien und Kirgisistan). Die EAWU ist gewiss nicht die Antwort auf alle Fragen, könnte es ein Anfang sein in Richtung einer neuen institutionellen europäischen Ordnung.

Die Autoren argumentieren, dass die Sanktionspolitik keine langfristige Lösung darstellen kann. Europa riskiert ansonsten eine zunehmende Isolation Russlands, und dessen Entscheidung sich an einem militärischem und nicht an einem wirtschaftlichen Wettbewerb zu beteiligen. Dies schadet den westlichen Handelsbeziehungen mit Russland und ermutigt andere blockfreie Mächte sich aus Selbstschutz gegen Sanktionen abzusichern. Der Essay wagt einen Blick über die Sanktionspolitik hinaus und erkundet die Möglichkeiten die Entwicklung eines Russlands zu unterstützen, mit dem die EU leben kann, anstatt weiter die Umgestaltung Russlands nach unserem Bilde anzustreben. Die Autoren vergleichen die Beziehungen der EU mit Russland hier mit denen der Vereinigten Staaten zu China – zwei Regionen in einer ko-evolutionären Entwicklung und eigener Wechselwirkung, aber mit klar markierten roten Linien. Der Essay zeigt folgende Hauptpunkte als für die Beziehungen zu Russland auf:

  • Beibehaltung der NATO als zuverlässiger Garant von Sicherheit und territorialer Unversehrtheit der EU-Mitgliedstaaten
  • Erwägung des Ausschlusses Russlands von “bewährten Institutionen” wie zum Beispiel dem Europarat, um die liberale Natur des EU-Projekts beizubehalten
  • Konstruktive Mitwirkung bei der russisch-dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion um öffentlich das Recht Russlands auf einen eigenen Integrationsprozess anzuerkennen.

ECFR-Direktor, Mark Leonard, bemerkt: “Wenngleich die EU diese Krise besser bewältigen konnte, als ihre Kritiker dies eingestehen, bleiben die Sanktionen gegen Russland ein Instrument und keine Strategie. Die Ukraine-Krise stellt die größte Un-Ordnung in Europa seit dem Zerfall Jugoslawiens dar. Tatsächlich scheint die EU keinen Plan zu haben, um die Ordnung nach dem Krim-Konflikt wiederherzustellen.”

Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.