Die Lehren aus der Krim-Krise
Um ein wirkungsvolles Signal zu setzen, muss Deutschland bei den Sanktionen gegen Russland mit der EU zusammenarbeiten
Die Reaktion Putins auf das Krim-Referendum und seine Rede am 18. März verdeutlichen, dass die europäische Kritik an Russland bislang wenig Wirkung zeigt. Nachdem die Krim Russland beigetreten ist, muss die EU nun eine klare Botschaft senden, dass sie es keinesfalls akzeptieren würde, wenn Russland den Osten der Ukraine annektiert oder destabilisiert. Die bereits verabschiedeten EU-Sanktionen waren mehr oder weniger symbolischer Natur. Dazu gehörte in einer ersten Phase das Einfrieren des Visa- Dialogs und der PKA-Verhandlungen mit Russland und in einer zweiten Phase Visaverbote und das Einfrieren von Bankkonten russischer Beamter, die für die Krise verantwortlich sind. Die dritte Phase der Sanktionen, die wirtschaftliche Maßnahmen umfasst und in Kraft treten wird, wenn Russland Gewalt einsetzt oder die Situation in den östlichen Teilen der Ukraine weiter zuspitzt, muss sich von den ersten beiden Phasen unterscheiden. Es ist wichtig, dass diese Sanktionen Russland wirklich wehtun.
Die EU muss einen Kompromiss zwischen ihren wirtschaftlichen und politischen Interessen finden. Die wechselseitige Abhängigkeit zwischen Russland und der EU macht es schwierig, die Einfuhr von Öl und Gas zu stoppen. Insgesamt bezieht die EU nur ein Drittel seiner Öl-und Gasimporte aus Russland, einige mittel-und osteuropäische Länder jedoch erhalten 100 Prozent ihres Öl- und Gasbedarfs aus Russland. Während es für diese Länder weitaus schwieriger ist, Gas aus alternativen Quellen zu bekommen, leistet Gas einen viel kleineren Beitrag zur Wirtschaft Russlands als Öl. Die Lehre aus dieser Krise ist also, dass eine Diversifizierung von Energiequellen zwar wichtig ist, die EU jedoch langfristig auch in alternative Pipeline- und LNG-Infrastrukturen investieren muss. In der Zukunft könnte die EU zusätzliche Mengen an Gas aus der Kaspischen Region, dem Iran sowie aus dem Mittelmeer beziehen. Gleichzeitig sollte die EU über einen besseren Mix aus verschiedenen Energiequellen nachdenken.
Russland ist vor allem an technischem Know-how, Direktinvestitionen und privaten Krediten internationaler Banken interessiert. Gemäß Angaben der Finnischen Zentralbank verloren russische Unternehmen zu Beginn der Krim-Krise innerhalb weniger Tage 60 Milliarden Dollar. Gleichzeitig steigt die Inflationsrate und das Kapital flieht. Die Wirtschaftswachstumsprognose für Russland wurde wegen der Krim-Krise auf weniger als 1 Prozent für das Jahr 2014 gesenkt. Putins Popularität ist dagegen nach einer Umfrage des Levada Centers auf mehr als 70 Prozent gestiegen und im öffentlichen Diskurs in Russland spielen wirtschaftliche Fragen keine Rolle. Wenn sich die wirtschaftliche Lage jedoch weiter verschlechtert, wird die öffentliche Unterstützung für Putin zurückgehen. Obwohl Putins aktuelle Politik sehr beliebt ist, würden nur 32 Prozent der Russen Putin für eine vierte Amtszeit wiederwählen.
Deutschlands Rolle wird entscheidend sein. Während der letzten Wochen haben sich deutsche Unternehmen und Lobby-Organisationen wie der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft gegen Sanktionen ausgesprochen. Russland ist jedoch abhängiger von Deutschland als umgekehrt: Russland ist lediglich Deutschlands elftgrößter Handelspartner, Deutschland für Russland dagegen der drittgrößte. Deutschland bekommt 36 Prozent seiner Gasimporte und 39 Prozent seines Öls aus Russland. Obwohl diese Prozentsätze im Vergleich zu einigen Mittel-, Ost- und Südostmitgliedsstaaten niedriger sind, ist die Menge an Öl und Gas, die Deutschland ersetzen müsste, viel höher. Deutschland hat die größte Speicherkapazität in Europa und könnte drei Monate lang ohne russisches Gas auskommen. Andere Länder wie Bulgarien und Italien haben weder die Speicherkapazität Deutschlands noch alternative Quellen für den Energieimport.
Die aktuelle Krise ist ein Lackmus-Test für Deutschlands kooperativen Ansatz gegenüber Russland. Die Modernisierungspartnerschaft – das Herzstück dieses Ansatzes – ist bereits mit Putins Rückkehr an die Macht fehlgeschlagen. Aber die Krise hat auch deutlich gemacht, dass der Einfluss von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Putin begrenzt ist. In den letzten zwei Jahren ist in Deutschland der Frust über Putins mangelndes Interesse, Russland zu modernisieren und zu demokratisieren, gewachsen. Die aktuelle Krise hat Deutschland und Russland noch weiter auseinander getrieben. Während die meisten deutschen Politiker immer noch der Meinung sind, dass es keine Alternative zur Zusammenarbeit mit Russland gibt, lassen öffentlicher und internationaler Druck der deutschen Regierung keine andere Wahl, als die Sanktionen zu unterstützen.
Merkel wäre eher als Außenminister Frank- Walter Steinmeier dazu bereit, weitere Sanktionen zu unterstützen. Gleichzeitig hat sie jedoch wenig Interesse daran, Europa in der Krim-Krise anzuführen, da die politischen Risiken groß sind. Merkel wird nur dann mehr Verantwortung übernehmen, wenn der internationale Druck weiter wächst oder wenn die Krise gravierende Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Deutschland und Europa hätte. Sanktionen sind nicht beliebt: laut einer aktuellen Umfrage unterstützen nur 24 Prozent der Deutschen Sanktionen gegen Russland. Aber je länger Putin es versäumt, auf deutsche Vorschläge zur Lösung der Krim-Frage zu reagieren, desto mehr wird Deutschland Sanktionen unterstützen und seine Position verhärten. Die deutsche politische Elite ist auf der Suche nach einem neuen Weg mit Russland umzugehen. Diese Krise könnte Deutschland dazu verhelfen eine realistischere und härtere Russland-Politik zu formulieren, der dann die anderen EU-Staaten folgen würden.
Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.