Ankaras EU-Charmeoffensive

Die Türkei bemüht sich nun doch, um eine Form der Privilegierten Partnerschaft mit Europa.

Ende November hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zum Telefon gegriffen und seinen deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier angerufen. Dieser hat sich gewundert, dass es dem türkischen Präsidenten lediglich darum ging einmal „Hallo“ zu sagen.

Türkische Vertreter haben den letzten Sommer damit verbracht Nazi-Anspielungen gegenüber deutschen loszuwerden und sich damit in eine Auseinandersetzung hineinmanövriert, die das europäisch-türkische Verhältnis stark beschädigt hat.

Einen Tag nach Steinmeier, war es Angela Merkel, für die Erdogan den ganzen Sommer nur Verachtung übrig hatte, die einen Anruf vom türkischen Präsidenten erhielt.

Die Gesten des guten Willens haben sich allerdings nicht auf Telefonanrufe des Präsidenten beschränkt. Der türkische Außenminister, Mevlut Cavusoglu, hat sich zweimal im Herbst 2017 mit seinem deutschen Amtskollegen getroffen und das Euro-bashing unter Amtsträgern in Ankara wurde komplett eingestellt, laut eines erfahrenen europäischen Diplomaten.

Am bemerkenswertesten ist es jedoch, dass türkische Gerichte still und leise begonnen haben, deutsche Staatsangehörige aus den Gefängnissen zu entlassen, die seit dem gescheiterten Putsch-Versuch von 2016 in der Türkei verhaftet worden waren.

Die Verhaftung des deutschen Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner markierte im vergangenen Jahr einen besonderen Tiefpunkt der sich ohnehin schon im Abwärtstrend befindenden deutsch-türkischen Beziehungen. Nachdem er einen Menschenrechtsworkshop im Juli mitorganisiert hatte, war Steudtner unter der Anschuldigung die türkische Regierung stürzen zu wollen verhaftet worden, was für viele Deutsche zum Symbol des neuen autoritären Führungsstils in der Türkei wurde.

Auf der Liste jener Personen, welche Deutschland als “politische Gefangene“ bezeichnet, standen im Frühherbst 2017 22 Namen, die meisten davon verhaftet wegen vorgeworfenen Verbindungen zur kurdischen Partei oder der Gülen-Bewegung. Nach der Freilassung Steudtners ist diese Zahl nun auf acht gesunken. Und die türkisch-europäische Charmeoffensive ging im Januar 2018 noch einen Schritt weiter, als Präsident Erdogan Macron in Paris besucht hat.

Was ist also passiert? Warum hat die Türkei eine solch drastische Kehrtwende in ihrer Haltung zu Europa vollzogen? Es scheint verschiedene Motive zu geben für Ankaras Bemühungen die Wogen zu glätten.

Der Bruch in den Beziehungen mit den Vereinigten Staaten ist eine dieser Wenden, ausgelöst durch die Unterstützung der syrischen Kurden durch die Trump-Regierung, wie auch durch den Zarrab-Prozess in New York. Auch im Jahr 2018 gibt es weiterhin Gründe für eine Verschlechterung der türkisch-amerikanischen Beziehungen: eine mögliche türkische Intervention in Syrien und, durch die Anschaffung russischer S-400 Raketen ausgelöste Sanktionen, die gerade vom Kongress erwogen werden. Ankara braucht aber Partner im Westen und ist nun auf der Suche nach einem Ersatz für Washington. Europa scheint ein guter Start zu sein.

Die wirtschaftliche Verwundbarkeit der Türkei – und deren potenzielle Auswirkung auf die 2019 anstehenden Präsidentschaftswahlen – ist ein weiteres Motiv, die Beziehungen mit Europa zu verbessern. Europa ist nicht nur der wichtigste türkische Handelspartner, sondern unterstützt die Türkei auch wirtschaftlich, durch direkte finanzielle Hilfen, Infrastrukturfinanzierung und Bankkredite. Aber seit dem Bruch im vergangenen Sommer zögern deutsche und europäische Investmentbanken weiterhin die großen türkischen Infrastrukturprojekte zu finanzieren, während im Europäischen Rat darüber nachgedacht wird die türkischen EU-Heranführungshilfen zu streichen.

Diese dezenten europäischen Maßnahmen waren Teil einer geplanten, wenn auch heruntergespielten, von Deutschland geführten Strategie, Ankara graduelle wirtschaftliche Sanktionen aufzuerlegen, um sich verständlich zu machen.

Das türkische Gebaren in der letzten Zeit lässt darauf schließen, dass diese Strategie gewirkt hat. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich die Türkei wieder zu Europa bekennt, oder der Beitrittsprozess wiederaufgenommen wird.

Der Fokus des türkisch-europäischen Dialogs (mit Macron, Merkel und anderen Mitgliedstaaten) lag in den vergangenen Monaten auf Handelsfragen, Terrorismusbekämpfung und Außenpolitik. Aus Unzufriedenheit über die Trump-Administration und Enttäuschung über die russische Vorgehensweise, hat die türkische Regierung anscheinend ihre Wertschätzung der europäischen Position zu Themen wie den Status Jerusalems, die Notwendigkeit am Iran Abkommen festzuhalten, oder Irak und Syrien zu stabilisieren, wiedergefunden.

Nichts davon, betrifft allerdings den Erweiterungsprozess oder die Kopenhagener Kriterien. Es geht vielmehr darum sich gegenseitig nicht auf die Füße zu treten. Anstatt sich gegen Europa wegen der gestoppten Beitrittsverhandlungen aufzulehnen, hat Ankara seine Rolle außerhalb der EU akzeptiert und arbeitet an einer neuen Form der Arbeitsbeziehung mit Europa.

Das ist ironisch. Über Jahre haben türkische Diplomaten die Fassung verloren, wenn irgendetwas anderes als die vollständige EU-Mitgliedschaft für die europäisch-türkischen Beziehungen vorgeschlagen wurde.

Bevor sie 2005 Kanzlerin wurde, hat Angela Merkel vorgeschlagen der Türkei eine Privilegierte Mitgliedschaft in der EU anzubieten, eine abgeschwächte Form der Mitgliedschaft, musste ihren Vorschlag auf Drängen Ankaras hin jedoch nach ihrer Wahl wieder zurücknehmen. Während der Beitrittsverhandlungen musste in jedem Dokument, jedem Memorandum oder jeder Rede betont werden, dass die Türkei eine „vollständige Mitgliedschaft“ anstrebt – und nur die.

Am Schluss hat sich Erdogan anscheinend aber mit einer Privilegierten Partnerschaft mit Europa abgefunden, nachdem Menschenrechtskritik und Reformforderungen nicht abgenommen haben, etwas, was die meisten Türken bereits lange mit Sorge haben kommen sehen. 

Der European Council on Foreign Relations vertritt keine gemeinsamen Positionen. ECFR-Publikationen geben lediglich die Ansichten der einzelnen Autor:innen wieder.